Treue in Zeiten Der Pest
Angélique bereits ausgehfertig in der Tür stand. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen glitzerten begierig. Sean stand hinter ihr und blickte die Gefährten erleichtert an.
»Sie möchte spazieren gehen«, sagte er fröhlich. »Sie ist wieder ganz gesund!«
»Langsam«, sagte Uthman. »Fühlt Ihr Euch tatsächlich wieder bei Kräften, Angélique?«
»Aber ja, ich bin gesund. Und ich will die verschwendete Zeit jetzt nachholen. Lasst mich vorbei, damit ich in die Stadt gehen und frische Luft atmen kann!«
Die Gefährten blickten einander unsicher an. Ein schriller Unterton in Angéliques Stimme beunruhigte sie. Sie trauten der plötzlichen, wunderbaren Heilung nicht. Henri beschloss, Angéliques Wunsch nicht nachzugeben, bevor der Arzt sie begutachtet hatte.
»Was sagt Magister Priziac dazu, dass Ihr ausgehen wollt, Angélique?«, fragte Henri höflich.
»Was gehen den Magister meine Wünsche an?«, entgegnete Angélique grob. »Dieser Quacksalber soll sich zum Teufel scheren mit all seinen auszehrenden Aderlässen! Er hat mir so viel Blut abgezapft, dass ich kaum noch gerade stehen kann.«
»Aber Angélique, er musste doch etwas gegen die schädlichen Flüssigkeiten in deinem Körper tun«, sagte Sean unglücklich. »Tut uns einen Gefallen«, bat Henri. »Wartet mit Eurem Spaziergang, bis der Arzt hier war und Euch untersucht hat. Wollt Ihr das tun, Angélique?«
»Nein, das will ich nicht!«, rief die junge Frau trotzig. Sie stieß Sean zur Seite und stürmte zur Treppe. Dort aber versagten ihre Beine den Dienst, sie knickten einfach zusammen. Angélique lag reglos auf dem Treppenabsatz und fing an, bitterlich zu weinen. Sean war sofort bei ihr. Er beruhigte sie, und dann ließ sich Angélique widerstandslos in ihre Kammer tragen. Dort half Sean ihr auf ihr Lager zurück, wo sie sich sofort schluchzend auf die Seite drehte.
Henri und Uthman gingen hinaus, um mit dem Hausbesorger und seiner Frau zu sprechen, die immer noch vor der Eingangstür standen.
»Ihr müsst unbedingt verhindern, dass Angélique ihr Zimmer verlässt, solange der Arzt es ihr nicht gestattet hat«, sagte Henri. »Meiner Meinung nach ist sie noch viel zu schwach. Es mag sein, dass ihr das selbst gar nicht auffällt. Es ist typisch für die Krankheit, dass der Betroffene kurz vor einem Rückfall glaubt, wieder gesund zu sein.«
»Es ist also nur ein Trugbild?«, fragte André.
»Ich befürchte, ja«, sagte Henri.
Andrés kleine Frau schlug ein Kreuz. »Wenn nur der verdammte Dreck in dieser Stadt nicht wäre! Überall liegen Schmutz und Unrat herum, und keiner kümmert sich darum. Wie soll man da nicht krank werden!«
»Und die Ratsherren stellen sich blind und taub!«, fügte André hinzu.
»Jetzt soll noch mehr Quellwasser angezapft werden«, erzürnte sich sein Frau weiter. »Der öffentliche Grundwasserbrunnen am Markt wird dicht gemacht, und wir werden alle dazu gezwungen, unsere Hausbrunnen zu reinigen, wenn wir nicht bestraft werden wollen. Mit Strafen sind die hohen Herren ja immer schnell zur Hand.«
»Zetere nicht so viel herum, Martha!«, tadelte André seine Frau, »die beiden Herrn müssen nicht auch noch mit deinen Sorgen belastet werden. Sie haben genügend eigene Probleme.«
»Wie steht es eigentlich mit dem Brunnen im Garten?«, fragte Henri, um von dem aufkeimenden Ehestreit abzulenken. »Hat er sauberes Wasser, das der Kranken nicht schadet?«
»Aber natürlich! Wofür haltet Ihr uns?« Martha stemmte empört die Fäuste in die Hüften. »Grabenmeister und Grabenfeger kontrollieren ihn jeden Monat. Das kostet eine Stange Geld, aber wir achten darauf. Selbst den Abort haben wir gegen teures Geld fünf Meter nach hinten verlegt. Das hat hier in Quimper ansonsten kaum einer getan.«
»Bitte, Martha. Beruhige dich!«
»Das werde ich schon noch sagen dürfen! In dieser verfluchten Stadt liegen die Abfallgruben und Latrinen nämlich dicht neben den Grundwasserbrunnen! Habt ihr Burschen schon einmal darüber nachgedacht? Nichts ist abgegrenzt, alles fließt, wohin es will. In der Nähe der Schöpfwerke für die Wasserleitung münden sogar die Schlachthausabfälle in die Odet. Ist es da ein Wunder, dass es diese fäulnishaften Ausdünstungen in dieser Stadt gibt, diese, diese…«
»Miasmen, Martha«, half André seiner Frau.
»Miasmen?«
»Meine Frau will nur sagen, dass wir durchaus wissen, dass es gewisse Zusammenhänge gibt«, sagte André. »Und dass wir uns bemühen, alles rein zu halten.«
»Damit handelt
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