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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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nicht getilgt werden. Der Herr soll sie nie mehr aus den Augen lassen, und ihre Andenken sollen ausgerottet werden auf Erden, weil er so gar keine Barmherzigkeit übte, sondern verfolgte den Elenden und Armen und den Betrübten, ihn zu töten.
    Auf welcher Seite stehst du, Herr?, fragte Joshua bitter. Entscheide dich für deinen unterjochten Sohn, für den, dem das wahre Unrecht geschieht.
    Wieder flog die Luke auf. Und diesmal ging sie nicht so schnell wieder zu. Ein ganzes Rudel von Ratten stob in die Zelle. Joshua konnte die Schatten der flinken, huschenden Tiere im Gegenlicht des matten Kerzenscheins, der von draußen hereinfiel, gut erkennen. Dann flog die Luke wieder zu.
    Joshua schloss die Augen.
    Er liebte den Fluch. So komme er auch über ihn. Er wollte den Segen nicht, so bleibe er auch fern von ihm. Er zog den Fluch an wie sein Hemd. Der dringe jetzt in ihn hinein wie Wasser und Öl in seine Gebeine. Er werde ihm wie ein Kleid, das er anhat, und wie ein Gürtel, mit dem er allezeit sich gürtet. So geschehe denen von meinem Gott, dem Herrn Jahwe, die wider mich sind und die Böses reden wider mich.
    So sollte es sein, dachte Joshua.
    Aber so ist es nicht.
    Er sprang auf und trat nach den quiekenden Ratten.
    Nach einer Weile setzte er sich erschöpft wieder hin. Doch sobald er nur einen Moment eindöste, verbissen sich die hungrigen Viecher in seinem Fleisch. Wenn es stimmt, was Henri annimmt, nämlich dass es die Ratten sind, die die Seuche übertragen, dann bin ich dem Tod geweiht, dachte Joshua. Selbst wenn sie mich finden und befreien. Entweder ich sterbe hier in dieser Zelle oder im Angesicht der Sonne. Aber sterben werde ich. So viel ist gewiss. Vielleicht sehe ich meine Freunde nie wieder. Vielleicht sind sie selbst bereits gestorben. Lebt außer meinem Peiniger überhaupt noch jemand dort draußen in der Stadt?
    Wie lange war es her, dass man ihn hierher gebracht hatte? Joshua hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
    Nachdenken ist das Schlimmste, dachte er. Schon nach nur wenigen Stunden oder Tagen bin ich Teil einer finsteren Gegenwelt geworden. Alles ist so unwirklich, unmenschlich, dämonisch. Recht und Gesetz sind wie ausgehebelt. Mein Gott, wie nahe wohnen Glück und Elend beieinander! Ein Schritt in die falsche Richtung, und man stürzt in einen Abgrund!
    Langsam nahm die Wut wieder überhand in seinen Gedanken. Was maßten sich diese Unholde an, die sich Christen nannten? Hatten sie jeden Respekt vor den Menschen verloren? Was war dort draußen geschehen, das die Hüter des vermeintlich wahren Glaubens von ihrem Christenweg abgebracht hatte?
    Aber vielleicht verstand er die Situation auch falsch. Vielleicht lebte er schon gar nicht mehr, sondern befand sich in der Hölle, und alles um ihn herum täuschte das Leben nur vor, tarnte sich in menschlicher Gestalt und verdeckte seine dämonische Fratze?
    Joshua schlug mit dem Kopf gegen die Wand, bis er spürte, dass Blut sein Gesicht herunterlief. Als der Anfall abebbte, überfiel ihn neue Mutlosigkeit. Er warf sich auf die Pritsche und schlug die Hände vors Gesicht. Er spürte nicht, wie sie rot und klebrig wurden von dem Blut, das an ihnen herunterrann. Er dachte nur: Mein Gott, bitte, lass es schnell zu Ende gehen!
    Als er die quiekenden Ratten hörte, die sein Blut witterten und ihn ansprangen, ließ er die Hände resigniert sinken. Kommt nur, dachte er grimmig, tötet mich. Ich bin ohnehin nur noch jämmerlicher Fraß.
    Die Ratten erhörten seine Bitte und fielen über ihn her. Eine besonders fette verbiss sich in seinem Arm und ließ nicht mehr los. Joshua betete weiter.
    Aber Du, Herr, sei Du mit mir um Deines Namens willen; denn Deine Gnade ist mein Trost. Errette mich! Denn ich bin arm und elend. Mein Herz ist zerschlagen in mir.
    Die Ratten quiekten, huschten umher und versuchten, unter Joshuas Kleider zu gelangen.
    Ich fahre dahin wie ein Schatten, der schwindet, und werde abgeschüttelt wie Heuschrecken. Meine Knie sind schwach, mein Leib ist mager. Ich bin ihnen zum Spott geworden, wenn sie mich sehen, schütteln sie den Kopf. Steh mir bei, Herr, mein Gott! Hilf mir nach Deiner Gnade, und lasse sie innewerden, dass dies Deine Hand ist und dass Du es bist, Herr, der das tut.
    Die Nager hingen jetzt scharenweise an ihm, waren unter seinen schmutzigen Überwurf geschlüpft und machten sich an seinem Bauch zu schaffen.
    Fluchen sie, so segne Du. Erheben sie sich gegen mich, so sollen sie zuschanden werden, aber Dein Knecht soll sich

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