Treue in Zeiten Der Pest
noch zur Senkgrube, ganz gleich, ob es sich um einen gefährlichen Ketzer oder einen unschuldig Verurteilten handelte.
Manchmal hatten sie auch Juden fortgeschafft. Juden, denen man irgendetwas zur Last gelegt hatte, um ihres Vermögens habhaft zu werden. Der König, dem die Juden unterstellt waren, war weit fort und stellte sich blind und taub.
Plötzlich hörte Joshua Stimmen. Der Karren hielt an. Ein Tor wurde knarrend geöffnet. Der Karren ruckelte weiter, dann hielt er wieder.
Erneut packten Joshua grobe Hände. Er wurde vom Karren gezogen und eine Kellertreppe hinabgestoßen. Eine offenbar massive Tür quietschte in den Angeln. Sie schloss sich dröhnend hinter ihm, und Joshua fiel auf stinkendes Stroh.
Jean-François legte sich Farben, Lösemittel und Pinsel zurecht. Er roch an seinen Materialien, denn nur, wenn sie gut rochen, verwendete er sie. Anschließend breitete er eine Leinwand vor sich aus. Er glättete sie und spannte sie auf einen Rahmen. Dann dachte er an Angélique und besann sich auf das, was er malen wollte. Das Pestbild sollte die Tochter seines verstorbenen Meisters gesunden lassen. Er nahm noch einmal Tiegel mit Honigwachs und duftenden Ölen in die Hand, dann begann er zu malen.
Jean-François wollte demütige Figuren malen, deren naive Kraft und ungekünstelte Schönheit den Betrachter bewegten. Alles sollte echt wirken, und das Bild sollte in Reinheit erstrahlen, damit es die giftigen Dämpfe der Krankheit vertreiben konnte. Der Geselle trug erdige Farben auf, eine Mischung aus Grau, Silber und Grün. Er stellte sich vor, wie das Bild wirken würde, wenn es am Meer unter freiem Himmel stünde. Es müsste wie ein Mahnmal wirken! Wie eine Abwehr gegen alles Böse! Jeder solle es bewundern und für die Tochter des Buchmalers beten.
Die Leiden Angéliques standen im Mittelpunkt des Gemäldes. Jean-François malte ein Kreuz, das Kreuz der Passion. Rechts und links davon fügte er zwei kleinere Kreuze hinzu. Auch hierfür verwendete er seine schönsten Farben. Am Mittelkreuz fügte er kleine Sprossen an, auf denen später Heilige stehen sollten, Frauen, vor allem Frauen, und Reiter, die von ihren kurzen, kräftigen Pferden abgestiegen waren.
Einen Moment lang trat der Geselle zurück und begutachtete seine Komposition. Alles stimmte in seinen Proportionen, und die Farben leuchteten. Er blickte zu den Büchern hinüber, die seine Bilder und Ausschmückungen und die des Verstorbenen trugen. Ein großes Gemälde zu komponieren war etwas anderes als das Bemalen von Buchseiten. Vor allem dann, wenn es einen Abwehrzauber beinhalten sollte.
Jean-François trat wieder an die Staffelei zurück. Er ließ die Standfläche des Mittelkreuzes noch frei. Er malte eine Berglandschaft. Trauernde Frauen erschienen vor seinem geistigen Auge, die er schnell skizzierte, er wollte sie später genauer ausmalen. Unter seinen Pinselstrichen bildeten sich ein viereckiger Sockel, dann eine große Bühne, immer neue Möglichkeiten boten sich seinen Händen, die den ganzen Raum des Bildes nutzten.
Jean-François’ Hände flogen nur so über die Leinwand. Als Nächstes fügte er ein Reliefband ein, das als plastische Darstellung um den ganzen mittleren Sockel des Bildes lief, nun machte es vor dem Leiden auch das Leben sichtbar. Das Leben vor der Seuche, vor der Krankheit. Die Tochter des Buchmalers erschien nun auch endlich in unterschiedlichen Formen und Gestalten. Jean-François war mittlerweile davon überzeugt, dass er Angélique nur schön genug darstellen müsse, damit die Pest von ihr zurückschreckte. Vor so viel unzerstörbarer Anmut, wie sie in seinem Bild lag, musste sie einfach weichen.
Das Bild entwickelte sich langsam weiter. Jean-François malte Stunde um Stunde. Wo zuvor noch das leere Weiß der Leinwand gewesen war, entstand jetzt ein plastisches Drama. Nach und nach erhielt das Bild eine innere Seele, die den Maler selbst ergriff. Nun würde es auch andere ergreifen können, vor allem aber musste es die Seuche bannen.
Jean-François schloss sein Werk noch am selben Abend ab. Sein tiefer und unerschütterlicher Glaube an die Wirkung des Bildes machte es groß und schön. Es hätte auch seinem verstorbenen Meister gefallen, da war sich der Geselle sicher.
Als er geendet hatte, hörte er aus dem Nebenzimmer einen Ruf. Er lauschte. Konnte es möglich sein?
Er hörte die Stimme Angéliques, die nach ihm rief. Und dann nach ihrer Mutter. Und nach ihrer Schwester Maufra.
Henri hatte
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