Treue in Zeiten Der Pest
dunklen Beulen darauf waren gut zu erkennen.
»Ich schneide sie auf«, sagte Monacis.
Ein Wimmern ertönte. »Nur, um zu sehen, wie es in ihm aussieht?«, jammerte die Frau des Alten, die an dessen Bett wachte. »Wenn er sterben muss, soll es friedlich geschehen.«
»Rede keinen Unsinn, Weib!«, entgegnete der Arzt. »Bring mir lieber heißes Wasser.«
Monacis hielt ein Messer in die Flamme der Kienspanfackel, um es zu desinfizieren. Als die Frau das Wasser brachte, tauchte der Arzt ein sauberes Tuch hinein und ließ das Wasser ablaufen. Er säuberte seine Hände und die Stelle am Hals des Kranken, die zu behandeln war. Dann schnitt er die Beule auf.
Seans Hände begannen zu zittern. Eine bestialisch stinkende grün-gelbe Masse quoll heraus. Monacis fing sie mit in einem kleinen Gefäß auf. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Sean schloss die Augen, dann öffnete er sie wieder. Er zwang sich, alles genau zu beobachten. Der Alte stöhnte auf, seine Hände hatten sich in dem Sack verkrallt, auf dem er lag. Monacis schloss die schmerzhafte Behandlung ab, indem er das aus der aufgeschnittenen Beule austretende Blut abwischte. Dann warf er das dabei verwendete Tuch in die Schüssel mit dem heißen Wasser.
»So, nun leg dich wieder hin, Andres. Und rühr dich nicht. Du musst hoffen, dass alles gut wird. Wenn nicht, muss ich dich morgen in das Spital bringen, das die Behörden vor der Stadt eingerichtet haben.«
»In die Sterbestation«, flüsterte der Kranke fast unhörbar. »Von da kommt keiner mehr zurück!«
»Woher willst du das wissen, Andres? Das ist doch alles nur Geschwätz. Wichtig ist allerdings, dass du dich ruhig hältst. Weib, achte du darauf, dass sich dein Mann möglichst wenig bewegt.«
»Ja, Herr!«
Sean konnte sich nicht vorstellen, Arzt zu sein. Ihm wurde mit einem Mal bewusst, dass sie sich in diesem Haus anstecken konnten, und ihm wurde angst und bange, da er nicht wusste, wie diese Ansteckung vor sich ging, und er daher auch keine Ahnung hatte, wie er sich davor schützen konnte.
Als Monacis seine Behandlung abgeschlossen hatte, holte die Bäuerin zwei Zinkbecher und Teller aus einem großen Schrank. Doch der Arzt gab ihr zu verstehen, dass er nicht mit einer Mahlzeit bezahlt werden wollte. Die Alte stellte daraufhin die Becher und Teller wieder in den Schrank zurück.
»Gehen wir«, sagte Monacis zu Sean. Und zu der Frau des Kranken meinte er noch: »Entferne unbedingt die Wasserschüssel vom Krankenbett, dein Mann darf in keinem Fall mit Wasser in Berührung kommen.«
Draußen atmete Sean erleichtert auf, und er bemerkte, dass Monacis ähnlich reagierte. »Der Alte hat definitiv die Pest«, sagte er, »daran ist nicht mehr zu zweifeln. Er wird nur überleben, wenn es mir gelungen ist, alle Gifte aus den Beulen abfließen zu lassen.«
Sean musste sich schütteln, als er sich den schmerzhaften Eingriff, den er in der Hütte miterlebt hatte, noch einmal in Erinnerung rief. Um sich abzulenken, fragte er: »Besuchen wir jetzt Angélique?«
»Du bist ein sehr ungeduldiger junger Mann, Sean of Ardchatten! Wir werden deine Angélique gleich aufsuchen, aber vorher müssen wir noch zu einem anderen Patienten, der gleich dort drüben in der Kate wohnt.«
Der erwähnte Patient war ein junger Färbergeselle, der ständig hustete. Monacis untersuchte ihn, und obwohl er geschwollene Drüsen am Hals und an den Leisten entdeckte und der Kranke Auswurf spuckte, war er der Meinung, dass er nicht an der Pest litt. Es musste eine andere Krankheit sein, die er allerdings nicht näher zu benennen wusste.
Als die beiden Männer wieder ins Freie traten, waren die Regenwolken abgezogen und hatten freundlicheren Sonnenstrahlen Platz gemacht. Ihr helles Licht vermittelte Zuversicht und Heiterkeit, die Sean sehr gut gebrauchen konnte. Als er mit dem Medicus in der Buchmalergasse ankam, stellte er erfreut fest, dass die Bauarbeiten dort beendet waren. Es lag eine frühsommerliche Ruhe über der Gasse. An den meisten Häusern waren die Fensterläden geöffnet, hier und da spielten auch einige Kinder mit Hunden und Bällen herum.
Sean stürmte die Treppe zu Angéliques Krankenkammer hinauf. Und mit jeder Stufe mehr spürte er, wie er die Gemeinschaft der Gesunden verließ und ihn die Einsamkeit der Kranken willkommen hieß. Am oberen Treppenabsatz blieb er kurz stehen, atmete einmal kräftig durch und öffnete dann entschlossen die Tür zur Krankenkammer.
Nein, er wollte niemals zögern, zu seiner Geliebten
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