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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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sodass er die Treppe hinunterfiel. Dann drehte er sich auf den Hacken um und lief den Gang zurück, den er gekommen war. Der Angreifer, den er verletzt hatte, lag noch immer am Boden und hielt seine Wunde. Henri kam problemlos an ihm vorbei. Als er den Ausgang erreichte, schloss er das Gittertor mit einem jener Schlüssel hinter sich zu, die dem Wärter gehört hatten, den er hier überwältigt hatte. Er trug dessen Bund noch immer bei sich. Von weiter hinten ertönte lautes Wutgeschrei, das immer näher kam. Henri ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen passierte er die Kerkaporta und kehrte in die Stadt zurück.
     
     
    Uthman versuchte, sich zu erinnern, wie oft er Henri schon gesucht hatte. Diesmal war es eine kleine französische Hafenstadt, die ihn verschluckt hatte. Uthman hatte schon schwierigere Aufgaben gelöst als die, ihn aufzuspüren. Wohin konnte Henri also verschwunden sein?
    Uthman war sich sicher, dass der treue Henri alles tun würde, um Joshua zu helfen. Gestern noch hatte Priester Josselin Rohan in einer öffentlichen Predigt zur Besonnenheit gemahnt. Die Menschen sollten keine Sündenböcke für das göttliche Schicksal verantwortlich machen, das die Stadt derzeit heimsuchte, hatte er gesagt. Aber sein Aufruf war offenbar un-gehört verhallt.
    Überall sah Uthman Menschen, die nur wenig Gutes im Schilde führten. Bettler, die ohne die Almosen, die sie in der Stadt erhielten, verhungerten, wurden kurzerhand vertrieben. Es kam zu ersten Plünderungen in Häusern, in denen es Sterbefälle gegeben hatte. Und eine durchreisende Familie jüdischer Händler war festgenommen und ins Rathausgefängnis geworfen worden, über ihren Besitz hatten sich die Stadträte hergemacht.
    Uthman bewegte sich vorsichtig durch die Straßen. Wenn man ihn als Kräutermann erkannte, musste er damit rechnen, angegriffen zu werden. Nach und nach begriff er allerdings, dass die Leute zu sehr mit sich beschäftigt waren, um auf ihn zu achten. Weil die gewohnte Ordnung langsam zum Erliegen kam und die Geschäfte versiegten, suchte jeder nur noch nach dem eigenen Vorteil. Schiffe legten nicht mehr an, und Händler wie Kaufleute begannen, die Stadt zu meiden. Schon jetzt standen die Speicher von Quimper in Gefahr, gestürmt und geplündert zu werden.
    Uthman fragte sich, warum die Leute angesichts der drohenden Gefahr nicht enger zusammenrückten. Man saß doch gemeinsam in der Falle.
    Das schienen jedoch die wenigsten zu begreifen. Die meisten Stadtbürger kümmerten sich nur noch um sich selbst. Liebe, Treue und Zusammengehörigkeit wichen einem Gefühl der Angst. Die Krankheit machte deutlich, wie brüchig die Gemeinschaft schon immer gewesen war.
    Würden sich die Menschen in meiner Heimat genauso verhalten?, fragte sich Uthman, und es erschreckte ihn, als er merkte, dass er diese Frage nicht beantworten konnte.
    Während er über all dies nachdachte, wäre er beinahe über zwei Säcke gestolpert, die plötzlich aus einem Hauseingang rollten und mitten auf der Straße liegen blieben. Die Umrisse menschlicher Körper zeichneten sich darin ab. Man warf die Toten mittlerweile einfach auf die Straße.
    An manchen Häusern hingen Bekanntmachungen, die man allerdings überall zu ignorieren schien, obschon sie für alle, die nicht lesen konnten, lautstark vorgelesen worden waren. Die Ratsherren forderten die Bürger auf, Kranke sofort zu melden, damit sie isoliert werden konnten. Sie sollten in ein Spital vor die Tore der Stadt transportiert werden. Die Häuser der Kranken sollten umgehend desinfiziert und mussten verschlossen gehalten werden. Manche Häuser, an denen Uthman vorbeikam, machten bereits einen verlassenen Eindruck. Fenster und Türen waren mit Brettern vernagelt.
    Ein süßlicher Geruch machte sich in den Gassen breit. Uthman war sich nicht sicher, ob er den Blumen entströmte, die auf dem Marktplatz verkauft wurden, oder ob sich darin bereits Verwesungsgestank bemerkbar machte. Aus manchen Häusern roch es zudem säuerlich nach Essig und Kampfer, mit denen die Behausungen gereinigt wurden. Uthman wusste, dass diese Mittel bei der hiesigen Seuche versagten. Aber auch die Kräuter, die er selbst gesammelt hatte, waren unwirksam gegen die Pest. Er hatte sie dennoch gesammelt, weil er irgendetwas tun wollte. Und immerhin rochen sie gut. Wenn, wie manche Ärzte behaupteten, allein ein guter Geruch die Fäulniswolken der Pest vertreiben konnte, dann war Uthman gut gerüstet. Er nahm sich vor, die

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