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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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missglückte Befreiungsversuch für ihn und die Gefährten haben mochte. Zu jeder anderen Zeit wäre es undenkbar gewesen, weiterhin in der Stadt zu verweilen. Der Rat der Stadt hatte alles darangesetzt, ihn dingfest zu machen. Doch die Zeiten waren nicht normal. In Quimper ging derzeit alles drunter und drüber. Niemand konnte die Stadt verlassen, überall brachen Schlägereien aus, und schon wurden die ersten Diebstähle verübt, gegen die niemand mehr etwas unternahm.
    Warum sollte man in dieser Situation einen Mann verfolgen, der nichts weiter getan hatte, als ein wenig Unruhe im Gefängnis zu stiften? Henri fühlte sich angesichts dieses Gedankens relativ sicher. Aber vielleicht täuschte ihn die augenblickliche Ruhe auch nur.
    Noch während Henri so nachdachte, wurde es vor der Herberge plötzlich laut. Der Wirt blickte vorsichtig durch eines der Gastraumfenster auf die Straße hinaus.
    »Es sind Soldaten! Was wollen die hier?«
    Henri sprang auf und trat ebenfalls ans Fenster. Er sah, wie sich die Bewaffneten im Halbkreis um die Vorderfront der Herberge aufstellten.
    »Dieser Aufzug kann, fürchte ich, nur uns gelten, Wirt.«
    »Hm, meint Ihr? Ich weiß nicht, ich gehe einfach mal raus und frage.«
    »Nein, wartet. Schaut Euch die Männer an. Die wollen offenbar gar nicht hereinkommen. Möglicherweise sollen sie Euer Haus nur beobachten.«
    »Die sollen woanders beobachten. Es gibt genug zu tun in der Stadt. Ich will nicht, dass Soldaten hier stehen. Was sollen die Leute denken? Mein Haus ist doch keine Räuberspelunke!«
    »Vielleicht ist es eine Maßnahme gegen die Pest«, sagte Sean leise. »Vielleicht stehen sie inzwischen vor allen öffentlichen Häusern.«
    Verdutzt schaute der Wirt den Knappen an. »Das wird es sein«, sagte er dann. »Da kann ich ja beruhigt sein. Sollen sie stehen, bis sie schwarz werden. Vielleicht wehren sie mit ihren Waffen ja sogar die Seuche von meinem Haus ab, mir soll’s recht sein.«
    »Das ist mit Sicherheit nicht der Grund für diesen Aufmarsch«, murmelte Henri, als der Wirt wieder in der Küche verschwunden war. »Sean, geh hinaus, du bist unverdächtig. Dich sucht niemand. Frag die Soldaten, was los ist. Suchen sie mich, dann sag, ich sei an der Pest gestorben. Und Uthman habe die Flucht ergriffen. Sag ihnen, den Tuchhändler Henri de Roslin gibt es nicht mehr. Und schau schön traurig drein dabei.«
    Sean tat sofort wie ihm geheißen. Henri spähte durch das Fenster und sah, wie er den Anführer der Wache befragte. Die Antwort schallte bis in die Gaststube hinein.
    »Wir suchen den Tuchhändler. Er hat versucht, einen Gefangenen aus einem der Kerker an der Stadtmauer zu befreien.«
    Sean erklärte dem Soldaten daraufhin, was Henri ihm aufgetragen hatte. Doch er schien ihm nicht zu glauben. Er besprach sich zwar mit seinen Kumpanen, aber selbst danach blieb die Gruppe ungerührt vor der Herberge stehen.
    Sean versuchte, den Männern ein wenig Angst zu machen. »Der Totenkarren kommt gleich!«, sagte er. »Er holt die Leiche. Verschwindet, oder ihr steckt euch an!«
    Ein junger Soldat machte bei diesen Worten tatsächlich kehrt und rannte davon. Der Hauptmann brüllte ihm hinterher, aber der Mann kam nicht zurück. Auch die übrigen Soldaten waren jetzt nervös. Unschlüssig traten sie von einem Fuß auf den anderen.
    Als sie dennoch stehen blieben, entgegnete Sean achselzuckend: »Macht, was ihr wollt. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.« Dann machte er kehrt und ging ins Gasthaus zurück.
    »Gut gemacht«, lobte Henri seinen Knappen. »Vor allem die Sache mit dem Totenkarren. Die hat mich auf eine gute Idee gebracht. Pass auf, wir machen es so: Ich lege mich in einen Kartoffelsack – ich hoffe, Ihr habt einen, der groß genug ist, Wirt?« Henri drehte sich zu dem Gastwirt um, der mittlerweile wieder in den Schankraum getreten war. Als dieser nickte, fuhr Henri vergnügt fort: »Schön, dann tragt Ihr und meine Knappe mich hinaus, angeblich, um mich auf den Karren zu legen, der weiter die Straße hinab ständig auf Leichen wartet.«
    Sean nickte. »Kehren wir anschließend nicht mehr hierher zurück?«
    »Nein. Ich bezahle unsere Zimmer sofort, auch die für Uthman und Joshua. Sollte Uthman hier ankommen, Wirt, dann händigt ihm bitte seine Sachen aus, die können wir jetzt nicht mitnehmen.«
    Der Wirt versprach, dies zu tun, rechnete seine Forderungen zusammen, und Henri zahlte. Inzwischen hatte die Wirtin einen großen, braunen Sack aus dem Keller geholt.

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