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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Henri schlüpfte hinein, und die Wirtin band ihn oben mit einem Strick fest zu.
    »Bekommst du genug Luft?«, fragte Sean.
    »Eine Zeit lang wird es gehen«, erwiderte Henri. »Aber keine Sorge, wenn die Luft knapp wird, steche ich ein Loch in den Sack.«
    »Dann mal los«, sagte der Wirt. »Euer Knappe und ich können Euch in dem Sack gut tragen, Roslin. Trine, du gehst voran und erhebst ein Klagegebet. Und vergiss nicht, dabei reichlich Kreuze zu schlagen.«
    Und so zog die kleine Prozession los. Als die Männer mit Henri auf den Schultern aus der Herberge traten, weinte und klagte die Wirtin so überzeugend, dass auch die Soldaten Kreuze schlugen.
    »Gott stehe ihm bei!«, murmelte der Hauptmann.
    Sean und der Wirt gingen die Straße hinab. Unten wartete der Totenkarren. Auf ihm lagen bereits fünf Säcke, die ähnlich aussahen wie jener, den sie über der Schulter trugen. Als Sean sich umsah, bemerkte er, dass die Soldaten sie beobachteten. Offenbar trauten sie der Sache nicht ganz. Sean beschloss daher, aufs Ganze zu gehen. Zusammen mit dem Wirt hievte er Henri an der Außenseite des Karrens hoch, dann ließen sie ihn grob hinunterfallen. Es polterte laut, und Henri stöhnte vor Schmerz leise auf. Die Wirtin schlug ein letztes Kreuz.
     
     
    Uthman war angespannt. Ein innerliches Kribbeln durchfuhr ihn, wie er es lange nicht mehr verspürt hatte. Es meldete sich immer dann, wenn er in eine Schlacht zog. Es war die Lust, zu kämpfen und zu siegen, die nach langer Zeit wieder in ihm erwachte. Schlagartig wurde sich Uthman wieder seiner Herkunft bewusst. Er war zum Krieger ausgebildet worden, und als Krieger musste er handeln. Die Zeit in der Bibliothek von Cordoba, die ihm sein Vater verordnet hatte, war erhellend gewesen, aber sie hatte keinen Asketen aus ihm gemacht.
    Uthman beobachtete die aufgebrachte Menge vor dem Gefängnis. Er hatte seine guten Waffen nicht dabei, selbst in seinem Gepäck in der Herberge befand sich nur das Nötigste. Aber der Sarazene konnte auch mit minderwertigen Waffen kämpfen, er musste nur seine Gedanken sammeln, um sich innerlich zu wappnen.
    Er stellte sich vor, wie er sein Kettenhemd überstreifte, dessen eiserne Ringe auf einen roten Stoffgrund genäht waren. Sein rabenschwarzes, halb langes Haar fiel über den gepolsterten Stehkragen. Der golddurchwirkte Umhang, der ihm bis zu den Waden reichte, bedeckte sein Schwert mit der kostbaren Parierstange und das Schwertgehänge insgesamt.
    Bei diesen Gedanken begannen Uthmans Augen zu blitzen. Bücher sind Bücher, dachte er, und Kampf ist Kampf. Bevor die da vorne irgendetwas anrichteten, würde er dazwischenfahren. Der Koran war auf seiner Seite, sagte er sich, denn hier bekämpfte er keine persönlichen Feinde, sondern Feinde des rechten Glaubens.
    »Gebt ihn heraus, damit wir die Tore wieder öffnen können!«, schrie einer aus der Menge, zu der sich nach und nach immer mehr Menschen gesellten, die von allen Seiten herbeigeströmt kamen.
    »Ja, der Jude allein ist schuld an der Seuche!« Pack, dachte Uthman und zog langsam seinen Dolch. Das Schwert ließ er noch verdeckt. Henri hatte ihm oft vorgeworfen, zu leichtsinnig zu sein. Sein Vater hatte gewünscht, Uthmans überschäumendes Temperament zu zügeln, damit er lernte abzuwägen, bevor er kämpfte, und durch diese Besonnenheit noch unberechenbarer und gefährlicher wurde.
    Ich habe meine Lektionen gelernt, dachte Uthman. Und nun ist der Moment gekommen, wo ich sie anwende. Er hielt den Dolch gereckt. Und jetzt zog er auch das Schwert.
     
     
    Die Tür zu der armseligen Hütte öffnete sich knarrend. Eine große, dunkle Gestalt trat daraus hervor. Langsam ging sie auf das Pferd zu, dass neben der Hütte angebunden war. Ihr Gang war schleppend, aber würdevoll. Im Schutz der Dunkelheit war die Gestalt kaum zu erkennen. Nur das weiße Gerippe leuchtete hell.
     
     
    Die Wachsoldaten wurden mit jedem Augenblick unsicherer und nervöser. Wenn die Menge in Panik geriet, würde es Tote geben. Gegen diese Übermacht waren selbst Bewaffnete machtlos. Warum überließ man den Horden da unten nicht einfach diesen verfluchten Juden? Dann wäre man alle Sorgen los.
    Einer der Soldaten brachte es auf den Punkt. »Der Fremde, der heute Morgen hier eingedrungen ist, hat doch alle Schlüssel zu dem Loch hier an sich gerissen. Wenn der verfluchte Hund mit einer kampferprobten Verstärkung zurückkommt oder sich an die Spitze des Mobs setzt, erobert er das Gefängnis im Sturm. Warum also geben

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