Treuepunkte
very easy trail!«, verspricht uns ein Guide und wir schließen uns einer angeblichen Anfängergruppe aus Nordhessen an. Die Betonung liegt auf angeblich. Es geht von Anfang an nur bergauf. Ich frage schon nach knappen zehn Minuten, ob das hier wirklich der »easy trail« ist, denn ich bekomme schon jetzt kaum mehr Luft und schnaufe wie
eine Asthmakranke. Einer unserer Guides bleibt netterweise mit mir zurück. Selbst Heike, nicht gerade bekannt für besondere Sportlichkeit, zieht an mir vorbei. »Ich muss in meinem Rhythmus bleiben«, ruft sie mir noch zu und weg ist sie. Es ist eine elende Plackerei und ich frage mich minütlich, wie ich auf die dermaßen bescheuerte Idee kommen konnte, da mitmachen zu wollen. Wald und nochmal Wald und ein steiniger, steiler Aufstieg und nach jeder Kurve die Hoffnung, dass es endlich mal nicht mehr bergauf geht. Mein Personal-Guide Dino redet unermüdlich auf mich ein. Irgendwas von »Hold on – you can make it«, oder so. Eine ziemlich einseitige Konversation, denn ich bin nicht mehr in der Lage zu antworten. Irgendwann, es kommt mir vor wie nach einer Ewigkeit, steige ich ab und schiebe. Dino ist entsetzt. Mir egal. Ich gebe nicht gern auf, aber bevor ich auf dem Fahrrad einen Infarkt bekomme, blamiere ich mich lieber. Ich behaupte, schon über 40 Jahre alt zu sein und nur verdammt jung auszusehen. Die restliche Gruppe ist wahrscheinlich längst beim Picknicken. Das ist ja das Allergrausamste, wenn man irgendwo hinterherhinkt: Die anderen warten, ruhen sich aus und man selber schleppt sich mit letzter Kraft hinterher. Kaum hat man aufgeschlossen, geht es weiter, selbst hat man nicht mal eine kleine Verschnaufpause und das ganze Spiel beginnt von vorne. Ich bin unsicher, ob ich diesen Ausflug überleben werde. Das Schlimmste – ich bin freiwillig auf diesem Rad und habe sogar noch dafür bezahlt. Ich versuche, Dino zum Umkehren zu überreden. Bergab zu radeln, traue ich mir gerade noch zu. Dino will nicht. »The group is waiting for us!« Und wenn schon! Die werden schon merken,
dass wir nicht kommen. Selbst schuld, wenn sie mich hier in der Pampa zurücklassen. Ich fühle mich jämmerlich, körperlich ausgelaugt und dazu noch peinlich berührt.
Auf einmal raschelt es neben mir und als ich mühsam meinen Kopf drehe (selbst der tut mir weh), sehe ich zwei gigantische Tiere neben mir auftauchen. Elche. Zwei Stück. Diese Viecher sind wesentlich größer als ich dachte. Sehen aus wie verwachsene Riesenpferde und haben nicht mal ein Geweih. Dino wird panisch: »Get on your bike, they can hurt you!«, brüllt er mich an und springt auf sein Rad. Ich würde ja auch gerne, nur ich kann nicht. Dino radelt ein Stück vor, nicht sehr heldenhaft, wie ich finde und schreit weiter: »Hurry up, Andrea, hurry up!« Ich stehe einfach nur da und die Elche schauen mich an – und ich sie.
Immerhin – wenigstens die Elche scheinen Mitleid mit mir zu haben. Sie lassen mich leben und verziehen sich zurück ins Unterholz. Vielleicht rieche ich auch schon dermaßen streng, dass ihnen jeglicher Appetit vergangen ist, oder sie mögen keine leichte Beute. Außerdem – sind die nicht Vegetarier? Was also soll an Elchen schon gefährlich sein? Dino klärt mich auf. Angeblich haben sie schon Menschen totgetreten. Ihre Hufe sollen wahnsinnig scharf sein. Und gerade jetzt, in der Zeit, in der die Elchkühe Junge haben, sind sie besonders rabiat. Uff. Glück gehabt. Oder es war Frauensolidarität. Dino ist ziemlich sauer. Ich hätte uns beide gefährdet. Das hätte böse enden können. Mag sein, aber erstens war er ja nun weit genug weg und zweitens habe ich dafür an diesem Abend die beste Geschichte von allen zu erzählen und bin bis zum Ende der Reise die Einzige, die Elche gesehen
hat. Körperliche Schwäche wird manchmal doch belohnt. Alle sind neidisch und ich genieße den Ruhm. Ich bin die Elchseherin! Ätschi! Wen interessiert da noch, dass ich nicht ordentlich Fahrrad fahren kann. Keinen.
Neben der mit den Elchen gab es noch eine weitere unglaubliche Bekanntschaft in diesem Urlaub. Shigeru. Ein Japaner. Sein Name bedeutet: Üppiges Wachstum, prächtig gedeihen. Der Wunsch seiner Eltern, verborgen in diesem Namen, hat sich leider nicht erfüllt. Shigeru ist ein ziemlich kleines Kerlchen, ehrlich gesagt fast schon mickerig, aber sehr trendy gestylt und irrsinnig kontaktfreudig. Wir lernen ihn in Banff kennen. Banff ist ein netter kleiner Ort am Rande der Rockys. Sozusagen das Tor zu den Rocky
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