Treuepunkte
tatsächlich großartig. Und wer sich was aus Tiergucken macht, ist hier bestens aufgehoben. Zwei Tiere gehören sozusagen zu den Must-haves jedes Touristen: der Bär und der Elch. Beides Tiere, die, bei genauer Betrachtung, so Heike, absolute Seelenverwandte des Mannes sind (Heike kann sehr streng mit Männern sein!). Zum Beispiel der Bär: Um sein Revier zu markieren, stellt er sich auf die Hinterbeine, reckt sich so weit er kann und ritzt dann mit seinen Krallen in einen Baum. Natürlich fragt man sich, was das soll. Selbstverständlich tun auch Bärenmännchen, so wie ihre menschlichen Geschlechtsgenossen, alles Mögliche, was völlig frei von Sinn und Verstand ist – aber in diesem Fall ist das eine Form der Großkotzerei. Der Bär zeigt nämlich dem potenziellen Rivalen, was er für ein Riesenkerl ist. Was bei Männern der Porsche oder die Yacht ist, ist beim Bären das Baumritzen. Auch bei der Nahrungsbeschaffung zeigt der Bär jede Menge Ähnlichkeit mit dem Menschenmännchen. Er ist dermaßen stinkfaul, dass er, statt mühsam nach Beeren zu suchen, auch einfach seinen eigenen Nachwuchs fressen würde. Zum Glück gibt es die Bärenmutter, die die Kinder beschützt und aufzieht. Man würde ja auch keinen Kannibalen bitten, mal einen Nachmittag auf die Kinder aufzupassen. Auch für das heimelige und wohnliche Ambiente ist im Bärenkosmos die Frau zuständig. Sie baut ein schönes Nest, dekoriert und staffiert aus, damit sie und die Kinder gut über den Winter kommen. Und der Kindsvater? Schmeißt sich für den Winterschlaf irgendwo hin und lässt sich zuschneien. Und fertig ist er, der Männerbär.
In den Rockys gibt es für den Bären sogar spezielle Brücken, damit er gefahrlos über die Autobahn kommt. Erst hatte man den Bären nämlich Tunnels gebaut, aber die hatten sie nicht gemocht. Die eigens begrünten Brücken findet der Bär besser und benutzt sie auch. Hätten wir damals im Biologieunterricht solche Themen behandelt, wäre ich sicher über eine Vier hinausgekommen.
Unter all den Bärengeschichten, die uns Einheimische erzählen, ist eine besonders beeindruckend: Japanische Touristen wollten ein Bärenfoto machen und dachten, es wäre eine tolle Idee, dem Bär ihre kleine Tochter auf die Schulter zu setzen. Der Bär war allerdings weniger begeistert und hat das Kind mit der Tatze runtergeschlagen. Das Kind ist gestorben. Schrecklich! Ob es stimmt – keine Ahnung. Ich hoffe nicht.
Jeder in Kanada kennt andere Gruselgeschichten vom Bären und wir sind für die Begegnung jetzt auf jeden Fall vorbereitet. Obwohl ich nach fünf bärenlosen Tagen die Geschichten rund um den Grizzly für Mythen halte. Wahrscheinlich reden die Kanadier soviel von den Bären, weil sie gar keine mehr haben, die Touristen aber im Glauben lassen wollen, dass da draußen zahlreiche Bären auf sie warten. Nach Bären Ausschau zu halten, beschäftigt den gemeinen Touristen. Man fährt durch die Gegend und schaut wie paralysiert in den Wald. Schließlich kann einmal weggucken bedeuten, dass man den einzigen Bären auf Zehntausenden von Quadratkilometern verpasst.
Etwa fünf Minuten nachdem ich Heike meine Bären-Theorie mitgeteilt habe, schreit sie auf und da steht einer.
Tatsächlich! Ein Grizzly direkt an der Straße. Einfach so. Wie ein lebender Beweis gegen mein Misstrauen. Ich bin tief beeindruckt. Wir fotografieren, bleiben aber brav im Auto, obwohl so ein echter Bär wirklich sehr harmlos aussieht – einfach knuddelig.
Innerhalb von Minuten halten zahlreiche Autos neben uns, aber der Bär bleibt stoisch stehen, so als hätte ihn das Fremdenverkehrsamt extra bestellt. Es würde einen nicht wundern, wenn er hinterher noch eine Autogrammstunde abhalten würde.
Das beste Zeichen dafür, dass ein Tier in der Nähe ist, sind parkende Autos am Straßenrand. Hält einer, halten alle. Das ist eine Lektion, die man in Kanada schnell lernt. Und ein Trick der so genannten Guides. Wenn sie Lust haben, Touristen auf die Schippe zu nehmen, halten sie an und nehmen ein Fernglas in die Hand. So amüsiert sich der Kanadier! Das hat uns einer abends in einer Bar erzählt und sich dabei kaputtgelacht. Das wiederum eint die Männer weltweit – sie lieben schlichte Scherze.
Jetzt zu den Elchen. Obwohl es an jeder Straßenecke und in jedem noch so piefigen Laden Elchmützen, Elchtassen und Elchkugelschreiber gibt, ist es fast noch schwerer, einen Elch zu sehen als einen Bären.
Wir machen eine geführte Radtour. »We take the
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