Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
und sagte: »Mr. Jacobs lässt bitten. Den Gang runter, letzte Türe links.«
Wow. Das ging ja flotter als erwartet. Ich holte tief Luft und ging um den Empfangstresen herum. »Danke.«
»Viel Glück!«, flüsterte sie.
Ich lächelte und streckte die Daumen in die Höhe, dann machte ich mich auf den Weg durch den langen, bedrohlich wirkenden Korridor, der vor mir lag.
Meine Nemesis saß in einem riesigen Schreibtischsessel, sah aus dem Fenster und bellte in ein Schnurlostelefon. »Ihre Zahlen hätten schon gestern bei mir auf dem Tisch liegen sollen!«, schnauzte er seinen unsichtbaren Gesprächspartner an. »Ist mir egal, wie spät es bei Ihnen ist! Hier ist es zehn Uhr vormittags, was bedeutet, dass Sie mehr als zwölf Stunden zu spät dran sind!«
Ah, ja. Raymond Jacobs wie er leibt und lebt. Diese tiefe Stimme, diese massige, einschüchternde Gestalt. Ich dachte an seinen Bestechungsversuch im Augenblick der Wahrheit. In jeder misslichen Lebenslage mit Geld um sich zu werfen, war zwar vermutlich nicht die einzige Taktik, die ihn dahin
gebracht hatte, wo er jetzt war, aber sie half ihm garantiert, dort zu bleiben.
Es war äußerst unklug, sich mit Raymond Jacobs anzulegen, das hatte ich gleich gespürt, als ich ihn damals in der Bar in Denver gesehen hatte.
Ich hatte es trotzdem getan.
Weil ich dafür bezahlt wurde.
Und jetzt bekam ich die Rechnung dafür präsentiert.
Ich schloss leise die Tür hinter mir und wartete darauf, dass der Furcht einflößende Mann auf seinem riesigen Stuhl herumwirbelte und mir seine hässliche Visage zuwandte.
Als er es schließlich tat, huschte ein wissendes Grinsen über sein Gesicht. Es war geradezu unheimlich. Als hätte er seit Tagen nur darauf gewartet, dass ich durch diese Tür trat. Damit er seine Revanche bekam. Denn er wusste genauso gut wie ich, dass er mir diesmal mehrere Schritte voraus war.
»Ah. Ich hatte gehofft, dass du vorbeischauen würdest.« Ich war ihm direkt dankbar, dass er sich bloß im Sessel zurücklehnte und keine Anstalten machte, sich zu erheben, um mich zu begrüßen. Je größer die Entfernung zwischen uns war, desto besser.
Ruhig bleiben, sagte ich mir. Nur keine Emotionen zeigen. Er durfte nicht merken, wie sehr er mir zusetzte. Ich musste ihm deutlich signalisieren, dass ich nicht klein beigeben würde, obwohl mir viel eher danach war, mich für den Rest meines Lebens unter seinem Schreibtisch zu verkriechen.
Mein Ziel war es, möglichst viel in Erfahrung zu bringen. Im Augenblick konnte ich nicht gewinnen. Ich benötigte mehr Informationen, einen Einblick in das Spiel, damit ich nach Hause gehen und mir eine neue Strategie zurechtlegen konnte.
Er musterte mich von Kopf bis Fuß, ließ den Blick seiner
perversen kleinen Schweinsaugen über meinen Körper gleiten. »Ashlyn, soweit ich mich entsinne.«
Ich lächelte kühl und ließ mich auf dem Sofa nieder, das gegenüber von seinem Schreibtisch stand. »Gutes Gedächtnis.«
»Natürlich ist das nicht dein richtiger Name...«, sagte er lauernd.
»Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen«, unterbrach ich ihn in einem Tonfall, wie man ihn aus alten Schwarz-Weiß-Krimis kennt.
Er grinste mich mitleidig an. »Mach dir mal keine falschen Hoffnungen, Schätzchen. Die Webseite bleibt bestehen.«
Ich erwiderte sein herablassendes Lächeln. »Selbstverständlich.«
Raymond gluckste. Die Situation erheiterte ihn sichtlich.
»Ich hatte gar nicht vor, mich darüber zu beschweren. Im Gegenteil – ich fühle mich geehrt, dass Sie so viel Zeit und Geld investiert haben, um mich zu outen. Die Bilder von mir sind ja höchst schmeichelhaft. Sie müssen mir unbedingt den Namen des Fotografen verraten, vielleicht kann ich ihn ja für ein paar PR-Maßnahmen engagieren.«
Raymond lächelte erneut und zeigte mit dem Finger auf mich. »Sie sind ganz schön kess, nicht?«
»Wenn Sie das sagen. Sie sind doch jetzt der Mann mit den Insiderinformationen.«
Er versuchte, mich mit Blicken in die Knie zu zwingen, doch ich hielt tapfer dagegen. Kein Blinzeln, kein Wanken, kein Hinweis darauf, dass ich im Grunde nichts in der Hand hatte. Aber alles zu verlieren.
»Ganz schön bitter, nicht?«, fragte er schließlich.
Ich tat, als würde ich ernsthaft über seine Frage nachdenken, als könnte die Lösung zu einem der größten Rätsel des Lebens dahinterstecken. In Wahrheit jedoch überlegte
ich fieberhaft, wie mein nächster Schritt aussehen sollte. Ich brauchte Antworten auf meine Fragen. Wie hatte er mich
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