Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
Wimperntusche und Grundierung abgewischt hatte, starrte ich lange mein Gesicht im Spiegel an und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es mir von Tag zu Tag unbekannter vorkam.
Es ließ sich allmählich nicht mehr leugnen.
Ich schnaubte und knipste das Licht aus, sodass die Fremde im Spiegel von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Meine weiße Bettwäsche fühlte sich flaumig weich an auf meiner Haut, wie Blumenblüten. Ich warf dem Kissen auf der anderen Bettseite einen sehnsüchtigen Blick zu. Außer Marta hatte es in den ganzen zwei Jahren, die ich hier wohnte, niemand berührt. Ich zog den ramponierten lila Plüschelefanten darunter hervor, der mir seit meinem zwölften Lebensjahr im Bett Gesellschaft leistet.
Und ich erinnerte mich an das allererste Mal, als wäre es erst gestern gewesen.
Snuffles der Elefant war nie mein Lieblingsplüschtier gewesen. Er hatte seit dem Tag meiner Geburt auf der Fensterbank in meinem Zimmer gesessen, aber ich hatte ihn nie sonderlich ins Herz geschlossen.
Als ich zwei Jahre alt war, taufte ich ihn Snuffle, nach Mr. Snuffleupagus aus der Sesamstraße , dessen Name ich damals allerdings noch nicht aussprechen konnte. Nach der Sendung deutete ich oft auf meinen lila Elefanten und krähte »Snuffle«, und daraus wurde später Snuffles.
Meine Lieblingsplüschtiere waren damals Leo der Bär, Floppsy der Hase und Frank der Fisch. Einer von ihnen durfte stets an meiner Seite liegen, wenn ich einschlief. Ich liebte die Abwechslung, doch Snuffles schaffte es trotzdem nie in die engere Auswahl.
Wenn mich Mom abends ins Bett steckte, fragte sie mich manchmal nach dem Grund, worauf ich meist die Achseln zuckte und sagte: »Ich weiß auch nicht warum. Die anderen sind mir einfach lieber.«
Hin und wieder ging sie dann zur Fensterbank und drückte den vernachlässigten Elefanten an sich, schnupperte an seinem weichen Fell. »Aber er fühlt sich einsam.«
Dann verdrehte ich die Augen und sagte: »Oh, Mom. Er wird es schon verkraften.«
Doch eines Abends wurde schlagartig alles anders. Nichts war mehr wie zuvor. Und es sollte auch nie wieder so werden.
Mom war nach Chicago zu ihrer Mutter gefahren, die wegen einer Operation ins Krankenhaus musste.
»Ihr Kniegelenk ist schon alt und abgenutzt, deshalb bekommt sie ein neues«, hatte sie mir auf dem Weg zum Flughafen erklärt.
»Ein neues ?«, hatte ich gefragt und dabei vergeblich versucht, meine »es interessiert mich überhaupt nicht, was meine Eltern sagen«-Haltung aufrechtzuerhalten.
»Ja. Die Ärzte setzen ihr eines aus Metall ein.«
»Das können die?«, platzte ich erstaunt heraus. Dann besann ich mich auf mein cooles Gehabe. »Ich meine... das ist irgendwie irre.«
»Zum Glück für Grandma können sie es, ja«, sagte Mom und griff nach hinten, um mir mein gesundes Knie zu tätscheln.
»Und warum darf ich nicht mitkommen?« Ich verschränkte aufsässig die Arme vor der Brust. Ich spielte zwar gern den coolen Beinahe-Teenager, dem es schnurz war, ob und für wie lange seine Mom wegfuhr, aber insgeheim widerstrebte es mir doch, von ihr getrennt zu sein.
»Na, weil du Daddy Gesellschaft leisten musst.«
Ich verdrehte die Augen und schnaubte. Wenn sie doch endlich mit mir reden würden, als wäre ich erwachsen und nicht erst zwölf. Trotzdem gab mir die Bemerkung meiner Mutter das Gefühl, gebraucht zu werden, und das gefiel mir. Also fand ich mich ohne ein weiteres Wort damit ab und beschloss, zu Hause zu bleiben und meinen Pflichten als Einzelkind nachzukommen.
Wie sich allerdings herausstellen sollte, war mein Dad gar nicht auf meine Gesellschaft angewiesen, denn er musste an diesem Abend zu einem Geschäftsessen, während ich mit der Babysitterin, einer zwanzigjährigen Studentin, zu Hause festsaß. Elizabeth war Betreuerin in dem Sommerlager gewesen, in dem ich mit zehn meine Ferien verbracht hatte. »Ein sehr verantwortungsbewusstes und vertrauenswürdiges Mädchen«, wie mir Mom nach einer ausführlichen Unterhaltung mit dem Campleiter erklärt hatte.
Ich war nicht begeistert. »Warum brauche ich denn einen Babysitter, Dad?«
»Das haben wir doch schon durchgekaut, Jenny«, erwiderte er. »Sobald du dreizehn bist, lassen wir dich allein zu Hause, aber im Moment bist du noch zwölf.«
»In neun Monaten werde ich dreizehn!«, protestierte ich. »Neun Monate! Das ist so gut wie gar nichts.«
Doch er ließ sich nicht umstimmen. Ich hätte meine Mutter angerufen und sie um Hilfe gebeten, aber ich
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