Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
für private Zwecke und das bereits erwähnte Treo für geschäftliche Anrufe) außer Haus. Das Treo Smartphone ist in den Augen meiner Freundinnen ein »Instrument
des Teufels«, mit dem mich meine »despotischen Vorgesetzten aus dem Imperium des Bösen (alias Stanley Marshall) rücksichtslos herumkommandieren«. Sie ahnen nicht, dass ich ausschließlich von argwöhnischen Gattinnen angerufen werde, die meine streng geheime Nummer unter dem Siegel der Verschwiegenheit an reiche Hausfrauen, Mütter und Freundinnen weitergeben. Gäbe es für dieses weit verzweigte Netzwerk ein eigenes Branchenbuch, dann wäre ich unter der Rubrik »lebenswichtige Serviceeinrichtungen« zu finden.
Aber meine Nummer ist nirgendwo aufgeführt. Ich arbeite ausschließlich auf Empfehlung. Meine Marketingstrategie heißt Mundpropaganda. Ich kann es mir nicht erlauben, meine Dienste auf Reklametafeln an Bushaltestellen anzupreisen. Meine Glaubwürdigkeit wäre sofort dahin. Und die ist in meiner Branche absolut unabdingbar, genau wie äußerste Diskretion und eine gewisse mysteriöse Aura.
Auf dem Weg zum Restaurant klingelte mein privates Telefon. Ich hätte das verdammte Ding am liebsten ausgeschaltet und die ganze Welt ein paar Stunden ignoriert, aber als ich auf dem Display den Namen meiner Nichte Hannah aufblinken sah, besserte sich meine Laune augenblicklich.
»Hallo, Kleines!«, begrüßte ich sie.
»Hi! Du kommst doch am Freitag, oder?«
Hannah feierte kommendes Wochenende ihren zwölften Geburtstag, weshalb ihre Mutter (meine Halbschwester Julia, die Tochter meines Vaters aus erster Ehe) am Freitagabend ein großes Familiendinner organisierte, zu dem auch Hannahs beste Freundinnen eingeladen waren. Hannah war deswegen schon ganz aus dem Häuschen.
»Aber klar!«, erwiderte ich fröhlich, teils, weil Hannah es immer verstand, mich aufzuheitern, und teils aus Gründen der Tarnung. Auch vor meiner Nichte hielt ich mein Doppelleben geheim. Ich würde alles dafür geben, sie auf ewig vor
den unschönen Seiten der Realität zu bewahren, mit denen ich zuweilen konfrontiert wurde.
Doch ich wusste, es war unmöglich. Früher oder später wurde sie erwachsen, und selbst wenn ich mich für den Rest meines Lebens dem Kampf gegen das Bösen widmete, wenn ich nicht mehr schlief, nicht mehr aß, nie wieder eine der von meinem TiVo aufgezeichneten Fernsehsendungen guckte, konnte ich die Welt bis dahin nicht in ein Paradies verwandeln.
»Gut«, sagte sie zufrieden. »Ich habe meinen Freundinnen nämlich erzählt, dass du kommst und dass du lauter total coole Klamotten hast.«
Ich sah an mir herunter. Wenn du wüsstest, meine Liebe. »Ich freu’ mich schon darauf, sie kennenzulernen. Aber jetzt muss ich leider Schluss machen, ich bin mit Freunden zum Brunch verabredet.«
»Hast du ein Glück! Da wär’ ich zu gern mit dabei.«
Ich lachte. Hannah erinnerte mich oft an mich selbst. Wie sehr hatte ich mich in ihrem Alter danach gesehnt, erwachsen zu werden... Jedenfalls bis zu der Nacht, in der alles anders wurde.
»Du würdest dich bestimmt zu Tode langweilen«, tröstete ich sie.
»Ach, Quatsch«, winkte sie ab. »Ich wette, ihr redet über total cooles Zeug.«
Ich dachte an die bevorstehende Unterhaltung. Erst würde uns Sophie ausführlich von ihrem neuesten Eric-»Drama« berichten. Dann würde ich versuchen, sie davon zu überzeugen, dass Eric tausend gute Gründe hatte, sie nicht zu verlassen. Zoë würde indes versuchen, nicht die Geduld zu verlieren, und John würde versuchen, das Gespräch irgendwie auf sich zu lenken.
»Du würdest dich wundern«, sagte ich.
Als ich das Lokal betrat, winkte mir Sophie sogleich aus der hintersten Ecke. Ich schlängelte mich durch die dicht an dicht stehenden Tische und nahm neben ihr Platz.
»Okay, was gibt’s so Dringendes? Klassischer Fall von männlicher Unfähigkeit, zum Telefon zu greifen? Oder könnt ihr euch nicht über eure Abendaktivitäten einigen?«
»Erst, wenn alle hier sind«, wehrte sie ab.
Ich legte den Kopf schief und musterte sie. Ihre Miene spiegelte eine unerwartete... Heiterkeit wider. Ich hatte damit gerechnet, eine verheulte Sophie zwischen Bergen von zerknüllten Taschentüchern anzutreffen, hatte mich eingestellt auf eine lange, tränenreiche Schilderung von diversen Komplikationen, die urplötzlich aufgetreten waren und sie ernsthaft an der Beziehung zweifeln ließen.
Doch dieser Glanz in ihren Augen... Sie wirkte – sollte ich wagen, es auszusprechen? –
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