Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
Bezug zu den wahren Problemen in meinem Leben hatten, half mir schon, dass sie mir zuhörte und Mut zusprach.
Ich wusste, ich musste sie anrufen.
Ich wusste, ich konnte mein Leben nicht ohne sie meistern. Dafür spielte sie eine viel zu wichtige Rolle.
Tja, man weiß eben erst zu schätzen, was man hatte, wenn man es verloren hat.
Ich griff zum Telefon und wählte ihre Nummer.
Noch ehe ich die letzte Taste gedrückt hatte, begann mein geschäftliches Handy zu klingeln. Ich stellte mein Festnetztelefon zurück in die Halterung und fischte das Handy aus meiner Handtasche, die auf der Bettkante lag. Auf dem Display blinkte »Unbekannter Anrufer« auf. Das war nichts Neues. Die meisten Leute unterdrücken ihre Nummer, wenn sie bei mir anrufen. Genauso, wie sie die Gewissheit, dass ihre Beziehung in der Krise steckt, unterdrücken.
Ich betätigte die grüne Taste, um das Gespräch anzunehmen, und hielt mir das Telefon ans Ohr.
»Hallo?«
Es knisterte in der Leitung, dann ertönte gedämpftes, unverständliches Gemurmel am anderen Ende.
»Hallo?«, wiederholte ich.
Knistern. Gemurmel.
»Hallo? Ich verstehe Sie nicht. Können Sie mich hören?« Ich wartete. Nichts. »Die Verbindung ist schlecht. Am besten versuchen Sie es gleich noch einmal.«
Ich wollte gerade auflegen, als das Knistern plötzlich aufhörte und eine leise und sehr verwirrt klingende Stimme sagte: »Jen?«
Ich saß mucksmäuschenstill auf meiner weißen Tagesdecke. Dann kam ich zu dem Schluss, dass ich die Telefone verwechselt haben musste. Ich betrachtete prüfend das Gerät. Kein Zweifel. Mein geschäftliches Handy. Oben stand deutlich sichtbar Treo . Mein Privathandy dagegen war rosa und schon vom Gewicht her nicht mit dem Treo zu vergleichen. Trotzdem musste ich erst den Schriftzug lesen, um es zu glauben.
»Jen, bist du das?«
Ich kannte diese Stimme. Ich kannte sie seit Jahren.
Es bestand nicht der geringste Zweifel. Die Verbindung war nun kristallklar und völlig störungsfrei. Welche bittere Ironie. Genau diese Stimme hatte ich schon die ganze Woche hören wollen.
Allerdings nicht durch dieses Telefon, verdammt noch mal!
»Hallo?« Die Stimme klang fragend. Verlangte, zur Kenntnis genommen zu werden. Und bald würde sie auch eine Erklärung verlangen.
Ich räusperte mich und versuchte, wie eine Achtzigjährige zu klingen, die ihr Leben lang vergeblich gegen ihre Sucht nach Virginia Slims angekämpft hat. »Ja, bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?«
Ich hätte auf der Stelle auflegen und den ganzen Abend nicht mehr rangehen sollen.
Ich hätte eine ganze Menge anders machen sollen.
Aber ich tat es nicht, und jetzt wusste die Stimme Bescheid.
»Jen, bist du das?«, wiederholte sie, nun leicht verärgert. So einfach würde sie sich nicht abwimmeln lassen.
Ich seufzte und gab auf. »Ja, Sophie, ich bin’s.«
Langes Schweigen. Dann ein kurzes, aber sehr entschiedenes Klick .
Ich sah auf das Display. »Anruf beendet«, stand da.
Das Telefon rutschte mir aus der schweißnassen Hand und versank zwischen den Falten meiner zerwühlten Tagesdecke. Ich stützte die Stirn in die Hand und schloss die Augen, weil ich wusste, dass dies zweifellos nicht nur das Ende eines Anrufes war.
Ich biss mir auf die Unterlippe und wartete ab. Wartete auf den neuerlichen Anruf, der unweigerlich kommen würde.
So, wie ich Sophie kannte, würde es eine Weile dauern, bis sie diese Erkenntnis verdaut hatte und die Welt wieder einen Sinn ergab. Sie glich manchmal einem alten Computer, der selbst für die einfachsten Tasks, das Öffnen eines Word-Dokuments oder das Wechseln zwischen zwei Fenstern, ein bisschen länger braucht. Ich sah förmlich die kleine Sanduhr über ihrem Kopf schweben, sah frustrierend langsam den Sand durchrieseln.
Mit diesem Task war sie allerdings hoffnungslos überfordert. Diesmal würde es mehr als nur ein bisschen länger dauern. Das geöffnete Programm wollte noch immer nicht laufen, und irgendwann würde unweigerlich der Computer abstürzen.
Noch nie hatte sich meine Wohnung in den eineinhalb Jahren, die ich nun hier lebte, so leer angefühlt.
Dann klingelte das Telefon. Nicht das geschäftliche Handy, auch nicht das private Handy. Mein schnurloses Festnetztelefon. Und es fühlte sich mehr als passend an.
Diesmal wurde die Nummer nicht unterdrückt. Mein Display zeigte mir sogar den Namen, der zur Nummer gehörte.
»Hi«, sagte ich leise.
Wieder Schweigen. Sie hatte meine Nummer gewählt, bevor die Denkprozesse beendet
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