Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
wollte, wo es etwas ruhiger war, was in den Augen meiner Jury völlig ausreichte.
Tags darauf stellte sich dann heraus, was hinter den Gesprächen meiner Kolleginnen »in den Mittagspausen« wirklich steckte.
Am nächsten Morgen bestellte mich Miranda Keyton, die stellvertretende Leiterin der Abteilung Fusionen und Übernahmen, zu einer spontanen Besprechung in ihr Büro.
Es war höchst unüblich, dass eine einfache Analystin wie ich persönlich von einer leitenden Angestellten angesprochen wurde. Normalerweise durchliefen Anweisungen von ganz oben zahlreiche hierarchisch-bürokratische Ebenen und wurden gründlich analysiert, zerpflückt und umgemodelt, ehe sie an die Basis gelangten.
Ich rechnete daher damit, dass mir Miranda entweder eine sehr schlechte Nachricht überbringen wollte (»räumen Sie Ihren Schreibtisch, Sie werden entlassen«) – oder aber eine sehr gute (»räumen Sie Ihren Schreibtisch, Sie werden befördert und bekommen ein eigenes Büro«).
Als ich schüchtern ihr Eckbüro betrat, sah sie von ihrem Computer hoch, schob sich die Brille ins Haar und lächelte freundlich, wenn auch etwas reserviert.
Ich erwiderte ihr Lächeln.
»Schließen Sie bitte die Tür, Jennifer.«
Oh-oh. Eindeutig schlechte Nachrichten.
Ich schloss die Tür und nahm auf einem der Stühle vor ihrem Schreibtisch Platz.
»Danke, dass Sie gekommen sind.« Sie lehnte sich in ihrem noblen schwarzen Ledersessel zurück und musterte mich prüfend.
»Aber selbstverständlich.«
»Tja...« Sie legte die Hände in den Schoß, die Finger verschränkt. »Ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich mich persönlich für Ihre Dienste bedanken wollte.«
Ich ging im Geiste alle möglichen E-Mails durch, die ich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden versendet hatte. Konnte eine davon auf Umwegen bei Miranda Keyton gelandet sein? »Meinen Sie... äh... die DVD-Marktanalyse?«
Mirandas Lächeln wirkte fast freundschaftlich, aber nur fast. »Nein, Jennifer. Ich meine die Analyse meines Mannes.«
Ich legte perplex die Stirn in Falten. Ich konnte mir nicht erklären, wovon sie sprach. Hatte ich unwissentlich eine Recherche in seinem Auftrag durchgeführt? Hatte Mirandas Ehemann die internen Ressourcen der Bank für persönliche Nachforschungen angezapft?
»Tut mir leid, ich...« Mist. Ich musste so tun, als müsste sie mir nur mal eben auf die Sprünge helfen. Ich wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich keinen blassen Schimmer hatte. »Welche Analyse war das noch gleich?«
»Die von gestern Abend«, erwiderte sie trocken.
Jetzt war ich endgültig verwirrt, und das sah man mir zweifellos auch an. Ich war am Vorabend doch gar nicht im Büro gewesen, sondern in einer Bar – mit meinen Kolleginnen aus dem Büro, mit denen ich die Tatsache begossen hatte, dass wir zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit vor neunzehn Uhr Feierabend machen konnten. Investment Banker schieben nämlich ständig Spätschichten und arbeiten nicht selten die ganze Nacht durch.
»Tut mir leid«, sagte ich erneut und kam mir ziemlich
dumm vor, aber das war mir mittlerweile egal. Ich wollte nur noch wissen, worauf um alles in der Welt sie anspielte, und sie freundlich darauf hinweisen, dass sie mich offenbar mit jemandem verwechselte. »Ich habe gestern Abend gar nicht gearbeitet.«
»Nein, jedenfalls nicht in Ihrer üblichen Funktion«, scherzte sie. »Aber Sie haben mir sehr geholfen.«
Ich wartete schweigend auf eine Erklärung und verkniff mir wohlweislich jedes weitere verblüffte »Tut mir leid« sowie ein nicht minder geistloses »Hä?« oder »Was?«.
»Sie haben gestern Abend in der Bar meinem Mann schöne Augen gemacht.«
Meine Kinnlade klappte nach unten. Ich brachte kein Wort heraus, blinzelte nur mindestens zwei Dutzend Mal und spürte, wie mir heiß wurde. Nach zwanzig Stunden in der glühenden Nachmittagssonne hätte mein Gesicht nicht heißer glühen können.
»Äh... ähm... tut mir leid, aber... es war so... Ich... Ich wusste nicht, dass er...«, stammelte ich, meinen guten Vorsätzen zum Trotz.
»Natürlich nicht!«, rief sie, als wäre das völlig logisch. »Wenn Sie es gewusst hätten, dann hätten Sie’s doch nie und nimmer getan!« Sie lachte leise. Allmählich kam sie mir vor wie Dr. Evil, der in Austin Powers mit der Zerstörung des Planeten droht, wenn ihm nicht jemand eine Milliarde Dollar bezahlt.
»Ach, Sie meinen...?«
Sie nickte bedrückt. »Leider, ja. Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie da hineingezogen
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