Trias
nachfolgen würde.
»Ich danke Ihnen, Sergej Iwanowitsch«, sagte Sprado mit falschem Lächeln. »Ich denke, es bleibt noch Zeit für ein Glas Champagner.« Sie winkte ihrer Assistentin zu, die beflissen den Raum verließ und mit einem Karton unter dem Arm zurückkehrte. Die Kanzlerin hatte die sechs Flaschen am Abend zuvor aus ihrem eigenen Keller geholt und im Kühlschrank der Offizierskantine verstauen lassen. Obwohl sich die Anwesenden entspannt und erleichtert gaben, lag über dem Raum wegen des Schlussworts Semjonows und seines eindeutigen Hinweises auf die zukünftige Stärke und Bedeutung Russlands eine Atmosphäre gekünstelter Freude.
Als die Hubschrauber wieder abhoben und Bundeskanzlerin Sprado in ihrem Dienstwagen saß, gingen ihr die Worte Semjonows nicht aus dem Kopf.
Ihre Assistentin beugte sich aus dem Beifahrersitz zu ihr nach hinten.
»Komischer Kerl, der russische Präsident.«
Die Bundeskanzlerin nickte nur stumm.
Nach einer Weile sagte sie: »Hoffentlich ist der Preis, den wir für diesen Vertrag zahlen, nicht zu hoch.« Sie umklammerte dabei den braunen Pappeinband der deutschen Übersetzung des Vertrags mit beiden Händen. Ihre persönliche Referentin sah beunruhigt durch die Frontscheibe auf die Straße.
Parallel zur Rückreise der Bundeskanzlerin zogen Bundeswehr und Polizei die Truppen von den neuralgischen Verkehrsknotenpunkten Berlins ab. Mit dem Eintreffen der Bundeskanzlerin vor ihrem Amtssitz im Berliner Tiergarten waren alle Barrieren beseitigt.
In den gleichen Stunden lief der Countdown für den G8-Gipfel in Marienstrand an. Sondereinheiten von Polizei und Bundeswehr errichteten von Land aus, zu Wasser und aus der Luft sichtbare und unsichtbare Sperrgürtel, die es Attentätern und anderen fanatischen Störern unmöglich machen sollten, zu den Regierungschefs und ihren Delegationen vorzudringen. Observationsteams der acht weltgrößten Geheimdienste versuchten sich in dem kleinen Ort an der deutschen Ostsee nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Sie stocherten in der Kanalisation, werteten beinahe jeden Zentimeter des Luft-, Boden- und Wasserraums aus und übersandten an ihre Regierungen letzte Lageeinschätzungen von den Sicherheitsbedingungen vor Ort. Ihre Anforderungen für den Personenschutz lagen dem Berliner Bundesinnenministerium, den zentralen und lokalen Verfassungsschutzbehörden und parallel dazu der Abteilung Innere Sicherheit des Bundeskriminalamts mit ihren angeschlossenen Landeskriminalämtern schon länger vor. Geregelt waren diese Maßnahmen in der deutschen Polizeidienstverordnung 130, in der Schutz, Betreuung und die vorbeugenden Maßnahmen bei hohen Staatsbesuchen penibel und restriktiv vorgeschrieben waren.
Doch Sollbruchstellen gibt es überall. Gewollt oder ungewollt. So, wie in den angeblich sichersten Gefängnissen der Welt Architekten Fugen einbauen, durch die man von innen und von außen im Falle einer Katastrophe dringen konnte, so war auch Marienstrand verwundbar. Doch nicht, weil es freiwillig geschah. Der G8-Gipfel war das wohl meistgeschützte und auch am professionellsten durchdachte Spektakel der Welt. Seine Fassade zeigte nur einen kleinen Ausschnitt von dem, was die Sicherheitsstrategen diskutierten, forderten und am Ende auch durchsetzten. Der Erfolg von allem lag auch stets hinter dem, was sichtbar war. Doch so sehr die Abwehrspezialisten analysierten und dabei alle Konjunktive ihrer Sicherheitsängste bemühten, blickten sie dennoch nicht gründlich genug in den kleinen Ort an der Ostsee hinein. Sie hatten einfach nicht jeden Stein umgedreht.
24
Köln, gleicher Tag, zur gleichen Zeit
Obwohl sich Graf Sprock in seiner Berliner Jugendstilvilla sehr viel sicherer fühlte als außerhalb ihres schützenden Dachs, musste er handeln. Die Terrorabwehrübung im Zentrum Berlins kam ihm gerade recht. Seine Gedanken über das Erlebte der letzten Tage und das Verhör in Prag spielten immer noch verrückt. Die Zeit wurde knapp. Er zwang sich zu mehr Konzentration. Er schlief sich gründlich aus, bereitete am nächsten Morgen die Filiale seiner Bank telefonisch auf die Auflösung eines seiner Konten vor und machte sich am Nachmittag auf den Weg.
Sprock war nicht nur ein altmodischer Geschäftsmann, er war, was Geld anbelangte, auch ängstlich. Er hielt sich zwar für eine Art geistigen Führer in einer Welt, die seiner Meinung nach einer neuen Führerideologie bedurfte; doch sein Sicherheitsbedürfnis im privaten Umfeld sowie sein
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