Trias
Bö über die Landebahn. Die Haare der Bundeskanzlerin wehten ihr in die Stirn. Mit fahrigen Bewegungen versuchte sie, ihren losen Pony unter Kontrolle zu bringen. Während sie noch mit ihrer Frisur kämpfte, entstieg die amerikanische Präsidentin Nancy Wood dem Helikopter; sie deutete Sprados Handbewegung als Begrüßung und winkte freudig zurück. Die Kanzlerin löste sich aus dem Spalier und ging mit einem betont herzlichen Gesichtsausdruck auf sie zu. Sie drückten sich intensiv beide Hände und tauschten Höflichkeiten aus. Im Rücken der Präsidentin hatten sich bereits die Einstiegsluken der russischen Helikopter geöffnet, aus denen Präsident Semjonow mit wackligen Schritten und seine weitaus jüngeren Mitarbeiter auf schmalen Ausstiegstreppen wesentlich hurtiger hinunter aufs Rollfeld eilten.
Semjonow schritt auf die beiden Frauen zu, umfasste sie fröhlich mit beiden Armen und drückte sie kurz an sich. Dabei sagte er hechelnd: »Was ihr gerade in Berlin veranstaltet, ist ein bisschen wie beim Räuber- und Gendarm-Spiel, oder?«
Die Kanzlerin blickte ernst und erwiderte gegen den Wind auf dem Rollfeld: »Mit dem Unterschied, dass man als Kind nicht fürchten muss, in diesem Spiel umgebracht zu werden.« Semjonow gefror das Lächeln auf den Lippen. Präsidentin Wood hakte sich bei Sprado unter, und gemeinsam gingen sie auf die angetretenen Luftlandetruppen zu, die mit ehrfürchtigen Blicken das mächtige Führungstrio mit den Augen begleiteten. Auf Befehl eines Kommandeurs öffnete sich das Spalier aus den martialisch anmutenden Soldaten zu einer Gasse, die direkt vor drei schwarzen Audi-Limousinen endete.
Als der Fahrzeugtross nach etwa 800 Metern vor dem nur hohen Offizieren vorbehaltenen Gesellschaftssaal des Stützpunkts vorfuhr, war es 12 Uhr 53.
Beim Anblick seiner Dekoration gönnte sich die Kanzlerin ein mokantes Lächeln. Der sonst vollmöblierte Raum war in aller Eile leer geräumt und auf das Wesentliche reduziert worden. Soldaten der Bundeswehrkaserne hatten ein breites Podest gezimmert, auf das sie grüne Tarnplanen gelegt hatten, um das unansehnlich rohe Holz zu kaschieren. Mehrere Tische waren zu einer einzigen langen Tafel zusammengeschraubt worden, auf der ebenfalls Planen aus olivfarbenem Leinenstoff lagen. Um die Tische waren einfache Stühle gruppiert, deren Sitzflächen mit schwarzem Leder bezogen waren. In metallenen Ständern steckten die Fahnen Russlands, der USA und Deutschlands. Ein findiger Leutnant hatte sie aus einem Gymnasium in der nahen Stadt Güstrow entliehen. Nur das Bild des deutschen Bundespräsidenten war für den Geschmack der Bundeskanzlerin zu sehr in die Ecke gerutscht.
Zwei Soldaten servierten von großen Tabletts Kaffee, Tee, Erfrischungsgetränke, Cocktailschnittchen und frisches Obst. Als sich die Türen des Saales hinter ihnen schlossen, schritt Lydia Sprado zu einem kleinen Pult. Zwei Dolmetscher gingen vor seitlichen Pulten in Position. Der russische Präsident war des Englischen nicht mächtig. Die Kanzlerin bog das Mikrofon zu sich heran, sprach ihre Gäste höflich mit Namen und Titel an und kam dann mit launigen Worten zur Sache.
»Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber mich erinnert diese Szene hier an ein Freischärler-Camp, in dem sich Rebellen mit ihren ehemaligen Gegnern treffen, um endgültig Frieden zu schließen.« Sie sah über die Ränder ihrer Lesebrille auf ihre Gäste, die beifällig und sogar amüsiert nickten. Die eingeflochtene Doppeldeutigkeit des Satzes hatte vor allem der russische Präsident sehr wohl registriert. Er hob beide Daumen, als verkünde er einen Sieg.
Ihre Augen wandten sich jetzt direkt an acht Männer, die einträchtig nebeneinandersaßen und zum Pult der Kanzlerin nach vorne schauten: FIES-Fellows Ralph Weinstein und Boyan Chopov, BKA-Vizepräsident Konrad Kaltenborn, Markus Croy, der Chef des Bundespresseamtes in Berlin, Martens, der Referent des russischen Präsidenten in Moskau Tscherkassow, der Stabschef des Weißen Hauses, Freeman, und Special Agent Vincent Talo vom CIA. Das Oktett hatte in den letzten drei Tagen über eine permanent geschaltete Videoleitung Kontakt zwischen Berlin und Washington gehalten. Bei ihrem ersten Treffen am Samstag beschlossen sie zunächst aus Sicherheitsgründen einstimmig, ab sofort den Mitarbeiterstab um Senator Gordon Smith aus dem weiteren Vorgehen herauszuhalten. Die Befürchtung, ausländische Agenten könnten nach dem geplatzten Anschlag auf den Senator dessen Telefone
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