Trias
Umgang mit alltäglichen Dingen offenbarten einen Kleingeist, dem es an Profil mangelte. Obwohl er seiner Bank schon seit vielen Jahren die Treue hielt, misstraute er dem Transfer von größeren Summen. Nicht nur des Phishings wegen, bei dem elektronische Spione die Kontozugänge von Privatkunden abscannten und so den Bankraub leicht machten; nein, auch die Möglichkeit des Nachverfolgens getätigter Überweisungen und die schleichende Aufweichung des Bankgeheimnisses beunruhigten Sprock.
Auf seinem Weg zur Bank hielt er an einer Postfiliale und erwarb eine leere Pakethülle, Schnur und festes Klebeband. Später, am Bankschalter, stapelte er wie in einem Gangsterfilm aus den Sechzigerjahren die Geldscheine in einen Aktenkoffer, schob ihn in das Postpaket, verschnürte und versiegelte es und ließ sich von seinem Fahrer zum Berliner Hauptbahnhof chauffieren. Gegen eine Gebühr von zehn Euro gab er das mit genau 571 312 Euro beladene Postpaket an der Gepäckaufbewahrung auf.
Danach fuhr er weiter zum Berlin International Airport, nahm die Maschine um 16 Uhr 10 nach Köln-Bonn und buchte für zwei Wochen ein Zimmer im unauffälligen Hotel Leonet in der Nähe des Kölner Rudolfplatzes. Während er so tat, als gehe er seinen Geschäften als Inhaber der Düngemittelfabrik Sprock GmbH im rheinischen Städtchen Wesseling nach, trieben ihn aber ganz andere Absichten an.
Mit Spreads Tod waren auch die Zweifel gekommen. War das Vermächtnis gefährdet, das ihnen ihre Väter und ehemalige Offiziere der Wehrmacht hinterlassen und dessen Erfüllung sie geschworen hatten? Doch die Vorbereitungen für den Racheplan waren nach Ansicht Sprocks viel zu weit fortgeschritten, als dass er noch daran rütteln sollte.
Es war beinahe 23 Uhr, als Sprock mit einer Reisetasche unter dem Arm sein Hotel verließ. Ein Taxi brachte ihn zu seiner Firma. Obwohl ihn der Werkschutz natürlich kannte, hielt er den eigenen Vorschriften gemäß und mit einem Lächeln im Gesicht seinen Ausweis an die Scheibe. Er entriegelte das Schloss einer Garage, die sich zu ebener Erde neben dem Gebäude mit den Forschungslabors befand, und zog an einem Hebel. Die Tür klappte nach oben auf und verschwand in einer breiten Spalte im Mauerwerk. Sichtbar wurde die Front eines weißen Transporters, auf dessen blank geputzter Frontscheibe sich das Licht zweier Laternen der Hofseite gegenüber spiegelte.
Sprock steuerte den Kleinlaster aus der Garage, parkte ihn mit der Rückseite zur Eingangstür des Laborgebäudes und ließ die Ladetüren weit offen stehen. Ein gläserner Lift brachte den Fabrikanten in die Ebene 2 zu den Labors F und G, die beide miteinander verbunden waren. Mit einer Fernbedienung legte er die Alarmanlage lahm, betrat das Labor F und stellte sie anschließend wieder scharf. Er wollte ungestört bleiben. Die Einrichtung des Labors war wenig spektakulär: keine Umwälzpumpen, keine Gummischläuche, keine Glasleitungen, die zu Kolbenflaschen führten, keine Tanks, aus deren Überdruckventilen Dämpfe von Kühlflüssigkeit brodelten.
Einem biometrisch gesicherten Schrank entnahm er sechs etwa 30 Zentimeter lange, armdicke Röhren aus Stahl. Sie waren jeweils an ihren Vorder- und Rückseiten mit Deckeln verschraubt. Er öffnete jeweils nur eine Seite, kippte die Röhren leicht an und ließ ihr Innenleben vorsichtig auf die Arbeitsplatte gleiten. Vor ihm standen nun sechs Gebilde, die wie Haarsprayflaschen aussahen und etwa auch die gleiche Höhe hatten. Sprock griff über sich nach einer Stiege im Regal, in die jeweils sechs kreisrunde Löcher eingestanzt waren. Mit weißen Gummihandschuhen sortierte er vorsichtig die sechs Sprayflaschen hinein und befüllte aus einem Tank zwei durchsichtige Zehn-Liter-Kanister mit destilliertem Wasser. Behutsam stellte er die Stiege und die Kanister mit dem Aquadest in einen Trolleywagen, schob ihn aus dem Labor und nahm den Lift ins Erdgeschoss.
Als der weiße Lieferwagen das Werksgelände verließ, war es weit nach Mitternacht. Sprock winkte den Männern des Werkschutzes launig zu. Sie kannten die Angewohnheit ihres Chefs, bis tief in die Nacht hinein zu arbeiten.
DerTransporter fädelte sich auf die Autobahn A 1 in Richtung Norden ein. Seine Ladung hatte Sprock dicht hinter dem Fahrersitz unter einer Decke verstaut. Es war zwei Uhr morgens.
Etwa zur gleichen Zeit, Tausende Kilometer weiter östlich, betrat der chinesische Geheimdienstgeneral Lee Kong sein Büro im Zentralgebäude des MSS in Peking. Sein
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