Trias
Arbeitstag begann mit der für ihn befriedigenden Nachricht, dass Kamidou Saanigri tot war. Der Marokkaner hatte ihn zwar jahrelang mit Informationen über nahöstliche Terrornetzwerke versorgt; aber mittlerweile wusste Kong auch, wer die Operation in der Slowakei geleitet hatte. Und wer anders als Saanigri sollte den Sprengstofftransport an Special Agent Talo verraten haben? Wer sonst kannte die Einzelheiten? Er hatte richtig gehandelt. Doppelagenten waren ein unberechenbares Risiko. Er würde andere Informanten finden, dachte er.
Doch auch sein Mittelsmann beim BND hatte versagt. Wie hieß er noch? Während Kong einen Tee aufbrühte, überlegte er angestrengt. Er griff nach Saanigris Kassiber, der ihm vor Beginn der Operation in Semtin per Kurier zugegangen war. Der Spionagechef blätterte ruhelos in den Papieren, dann fand er den Namen: Hans Strachow. Während er Hess kannte, sagte ihm der Name Strachow so wenig wie weißes Papier. Bis zum Untergang des Konvois hatten sie ihre Arbeit gut gemacht. Doch das Inferno von Samstagnacht machte nach Ansicht des Generals jeglichen bisherigen Erfolg zunichte. Und brauchte er die BND-Männer denn noch für Marienstrand? Dort würde er von Geheimdienstmännern umzingelt sein, bei denen man nie wusste, auf wessen Seite sie gerade standen.
Kong sah in Gedanken versunken von seinem Schreibtisch auf die Pagoden eines Klosters in den nahen Bergen. Sollte er die beiden deutschen Agenten lediglich bestrafen oder gleich ausschalten? Bei letzterer Möglichkeit würde er sich zweier Mitwisser entledigen, denen er überdies noch ein stattliches Honorar schuldete. Sein Blick fiel auf das Konterfei eines seiner Vorgänger, der im chinesisch-japanischen Krieg Mitte des letzten Jahrhunderts gefallen war. Unter dem Foto stand der Satz: Willst du die Viper bezwingen, entreiße ihr nicht nur die giftigen Zähne . Kong beschloss, die alte Volksweisheit der Chinesen zu beherzigen.
25
Berlin-Treptow, BKA-Hauptquartier, 10. Dezember, vier Tage bis zum G8-Gipfel, 08:30 Uhr
Am nächsten Morgen besprach sich Kaltenborn mit seinem engsten Stab. CIA-Agent Talo und Kanzleramtschef Wilkens saßen ihm gegenüber, Markus Croy neben ihm. Weitere BKA-Staasschutzbeamte hatten sich ihnen angeschlossen, zwei Männer und zwei Frauen. Der BKA-Vizepräsident wollte, wie er es nannte, eine mögliche Gefährdung der G8-Teilnehmer aus der Sicht »vagabundierender Angreifer« beleuchten. Zunächst aber fasste Kriminalkommissar Markus Croy die Lage zusammen.
»Wir müssen davon ausgehen, dass mögliche Feinde des Vertrages nach wie vor Attentatspläne hegen.« Croy sah beifälliges Nicken. Er sprach weiter. »Es gibt also unseres Erachtens mehrere Bedrohungslagen, die aus völlig verschiedenen Richtungen kommen. Wir sehen momentan vier Spuren. Eine davon führt nach Peking, zwei nach Deutschland und eine eher undeutliche Spur nach Moskau.«
»So viele Spuren, und das vier Tage vor so einem Großereignis«, stöhnte CIA-Agent Talo, als höre er von diesen Tatsachen das erste Mal. Er blickte zu Kaltenborn.
Der zuckte mit den Schultern und meinte: »Ich glaube, wir kriegen das noch in den Griff.«
Croy sah ungeduldig zu den beiden Männern.
»Sprechen Sie weiter«, sagte Kaltenborn.
»Gestern Mittag starb in Casablanca ein für uns wichtiger Kontaktmann. Kamidou Saanigri fädelte im Auftrag des chinesischen Geheimdienstes und mit Unterstützung aus Deutschland den größten Sprengstoffdiebstahl nach dem Zweiten Weltkrieg ein, verriet ihn aber der CIA. Das ist doch richtig, oder, Mister Talo?«
Der CIA-Agent bewegte seinen Kopf nicht einen Millimeter. »Offensichtlich war Saanigri nicht nur in diesem Punkt geschwätzig, oder, Mister Kaltenborn?« Der verstand die Spitze sofort, sein Englisch war hervorragend. Kaltenborn zwinkerte mit den Augen und hoffte, dass sich sein Ermittler während dieses Meetings an die Absprachen hielt. Sie wollten nicht mehr preisgeben als nötig. Die Amerikaner mussten nicht alles wissen.
»Ich verstehe wirklich nicht, wovon Sie reden, Mister Talo.« Kaltenborn sah unschuldig auf eine etwa daumennagelgroße Spinne, die an einer Ecke zwischen Decke und Bürowand ein Netz baute.
»Wissen Sie denn inzwischen, wer sich hinter der deutschen Unterstützung verbirgt?« Talos Augen spazierten jetzt in die gleiche Richtung.
Kaltenborn vermutete, dass Talo ihm die Unwissenheit nicht abnahm.
»Ja, zwei Söldner aus einem geheimdienstlichen Umfeld«, antwortete Croy an Kaltenborns Stelle.
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