Trias
drang der Lärm startender und landender Kampfjets durch die Fenster in den Raum. Kaltenborn wurde in diesen Minuten das Gefühl nicht los, dass gerade irgendwo in Deutschland ein gefährliches Komplott in Planung war. Angespannt dachte er darüber nach, dass Croy und er auf der Zielgeraden ihrer Ermittlungen sehr aufmerksam sein mussten. Der BKA-Vize betrachtete kurz das Profil seines Sonderermittlers; den ruhigen Gesichtsschnitt, das etwas chaotisch liegende weizenfarbene Haar. Er spürte väterliche Gefühle für den mehr als zwanzig Jahre Jüngeren.
Nach Beendigung der gemeinsamen Schweigeminute ermunterte Bundeskanzlerin Sprado ihre Gäste zu einer körperlichen Stärkung. In kurzer Zeit waren die Tabletts leer, wobei sich Präsident Semjonow und die beiden New Yorker FIES -Abgesandten Weinstein und Chopov als besonders hungrig erwiesen.
Nancy Wood nippte an einem Wasserglas, stocherte etwas lustlos in einer Porzellanschüssel mit Salat und begnügte sich ansonsten mit klobigen Scheiben einer roten Zuckermelone. Auch Lydia Sprado nahm die Kargheit militärischer Versorgung praktisch: Sie hielt sich an Kaffee mit viel Milch und ohne Zucker.
Nach einer Weile schlug sie leicht mit einer Gabel an ihr Wasserglas. Ohne Mikrofon sagte sie in die Runde:
»Ich schlage vor, wir reden nun gemeinsam über die Ratifizierung des Vertrages mit dem offiziellen Namen Abkommen über die exklusive Lieferung von Rohstoffen aus Sibirien an die Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland bis zum Jahre 2058 . Dazu möchte ich bitten, alle Mikrofone abzuschalten.«
Der kurze Diskurs über den richtigen Zeitpunkt der Unterschrift und seine Begleitumstände verbrauchte nicht mehr Zeit als ein hektisches Frühstück zu dritt. Nach etwa zwanzig Minuten hatte man sich auf den Zeitplan geeinigt und eine interessante Lösung gefunden.
Kaltenborn und Croy waren dem Diskurs aufmerksam gefolgt, hielten sich aber mit Vorschlägen zurück. Dies war eine Angelegenheit zwischen den Repräsentanten der drei Staaten. Als klar war, dass die trilateralen Gespräche kurz vor dem Abschluss standen, beugte sich der BKA-Vize dicht an das Ohr seines Sonderermittlers heran. Er flüsterte: »Die Feinde des Vertrages werden so lange nicht ruhen, bis sie ihn endgültig verhindert haben. Die kommende Woche wird zeigen, von welcher Seite die Bedrohung kommt.«
»Der Countdown läuft bereits, das kann ich spüren«, flüsterte Croy zurück.
Als der russische Präsident um ein Schlusswort bat, erteilte es ihm Kanzlerin Sprado mit freudigem Gesichtsausdruck.
»Sehr verehrte Anwesende«, begann Semjonow hustend seine kurze Rede, »mit Trias wird es Russland endlich wieder gelingen, zu den mächtigsten und einflussreichsten Ländern der Erde aufzusteigen. Schon heute wissen wir, dass die Einnahmen aus Mütterchen Russlands fruchtbarer Erde nicht nur dem zügigen Ausbau der teils noch jämmerlichen Infrastruktur zugutekommen werden, nein: Auch unsere Milliardenschulden werden damit getilgt, Investitionen gefördert, Schulen und Universitäten neu gebaut, die Forschung in Wissenschaft und Technik angekurbelt. Nicht zuletzt - und hier bitte ich um Verständnis unserer Partner in Europa und jenseits des Atlantiks - werden wir auch das Militär und vor allem unsere Atomwaffentechnik modernisieren.« Semjonows markige Worte hinterließen Eindruck. »Wie Sie alle wissen, habe ich vor mehr als sechzig Jahren gegen die deutschen Besatzer gekämpft … nun sind wir Partner und Freunde. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass nur ein sehr starkes Russland das Gleichgewicht der Welt halten und damit dem internationalen Terrorismus oder dem Hegemoniestreben anderer Staaten die Stirn bieten kann.« Semjonow nickte der Kanzlerin und der amerikanischen Präsidentin aufmunternd zu. Die hatten, vor allem während des letzten Satzes, erheblich an Gesichtsfarbe eingebüßt. Allen war klar, welche »Modernisierungen« nötig waren, um Terroristen oder sogar anderen Staaten »die Stirn bieten zu können«, wie Semjonow es so schön formuliert hatte. Und ein Russland mit einem hochmodernen Militär und weiterentwickelter Atomwaffentechnik wollte nun wirklich niemand. Doch Lydia Sprado und ihre Amtskollegin Nancy Wood fassten sich schnell wieder. Man würde weitere Abkommen schließen, die eine Aufrüstung nicht zuließen. Außerdem war Semjonow mit seinen weit über achtzig Jahren in ihren Augen ein Auslaufmodell, dem bald ein jüngerer und hoffentlich moderner Präsident
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