Trias
während er das Seil um einen Poller warf und zu einem fachmännischen Kreuzknoten knüpfte. »Ich brauche ein Frühstück.«
Storm, der einst als hocheffektiver Geheimdienstoffizier und Wirtschaftsspion galt und noch immer enge Beziehungen zu ehemaligen Vizepräsidenten der CIA unterhielt, gab sich so ruhig wie einer, der nichts zu erzählen und schon gar nichts zu verlieren hatte. Wie konnte Kaltenborn denn auf den kommen?, dachte Croy. Was versprach er sich davon?
»Ich bin satt«, antwortete er gereizt. Storm winkte ab.
Er lenkte Croys Schritte zunächst über die Gotzkowskybrücke, auf die mehrere Straßen gleichzeitig mündeten. Sie überquerten die Straße Alt Moabit, in der sich ein türkisches Gemüsegeschäft an das andere reihte. Von Weitem sah man die wie zwei riesige Herzklappen weit auf die Spree hinausragenden Gebäudehälften des Innenministeriums. Der ehemalige Stasi-Agent drückte den BKA-Mann durch die Tür eines typischen Berliner Lokals. Von innen wehte ihnen der warme Geruch von Bohnensuppe und Kassler entgegen. Storm schnalzte genießerisch mit der Zunge.
»Gute Suppe, empfehlenswert.«
Sie setzten sich an den einzigen freien Tisch am Ende des Raumes, der von einer Lampe beleuchtet wurde, die an der Wand hinter ihnen in der Mitte einer Metallplatte angeschraubt war. In die Metallplatte waren Gravuren eingearbeitet, die an Wellen erinnerten. Der Tisch war aus dunklem Holz, auf dem sich die Spuren von Bier, Fett und Zigarettenresten für immer verewigt hatten. Croy beobachtete Storm, wie er in der Karte las und sich dabei mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr.
»Auch die Suppe?«
Croy schüttelte den Kopf. »Wird das Ihr Frühstück?«
Storm nickte begeistert. »Ich habe morgens gern etwas Kräftiges.«
Croy nahm Kaffee, Storm die Suppe.
»Sie haben da ein sehr unschönes Problem, Herr Croy.«
Der Ermittler war überrascht, wie schnell sein Gegenüber jetzt doch zur Sache kam. Storm strich mit den Händen über die rissige Kante des Tisches und fragte dann: »Was genau wollen Sie in Erfahrung bringen?«
Croy sah aus den Augenwinkeln auf die Tresenuhr. Es war kurz nach halb zehn.
»Was wissen Sie über Ihre ehemaligen Kollegen von der Auslandsaufklärung? Was tun die heute? Wie viele von denen langweilen sich zu Tode und könnten ein bisschen Abwechslung gebrauchen?«
Der ausrangierte Agent sah an ihm vorbei, irgendwohin. Vielleicht erinnerte er sich an etwas. Vielleicht verbaute er im Geiste gerade eine Radiobombe im Verstärker des schmuddeligen Restaurants, denn die Musik war eine Mischung aus billigem Schlager und scheußlichem deutschem Country.
»Sie meinen, ob ehemalige Kundschafter für verloren gegangene Ideale wieder in den Einsatz ziehen würden?«, fragte Storm gestelzt zurück.
Croy blieb kühl. »Drücken Sie es aus, wie Sie wollen.«
»Ich sehe mehr diejenigen, die jetzt aus diesem Grunde versuchen, sich politisch zu engagieren. Solche, denen die Deutsche Linke zu weit in die politische Mitte gewandert, also nicht revolutionär genug ist. Die suchen sich andere Tätigkeiten in linken Spektren, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Italien oder Belgien.«
»Kein Wiedererweckungspotenzial für Pulverdampf und Minox-Snapshots?«
Storm lächelte. »Ich sehe keinen Wecker, der sie aufscheuchen würde. Wer abgeschaltet ist, tickt in der Regel zwar noch, klingelt aber nicht mehr. Vergessen Sie nicht, dass die meisten Ex-Kundschafter schon ein gewisses Alter haben.«
»Ach, reden Sie nicht«, erwiderte Croy. »Sie selbst sind doch erst Mitte sechzig. Da hat man noch genug Spannkraft zum Laden einer Knarre, oder etwa nicht?«
Storm tat so, als interessiere ihn die Karte mehr als sein Gegenüber. Croy ging in die Offensive.
»Wir wissen, dass Sie sich Anfang Juni mit mehr als dreißig ehemaligen Quellen, die Sie an westdeutschen Schaltstellen installiert hatten, im Café Flora im Berliner Stadtteil Pankow trafen. War das nur ein Kaffeekränzchen unter Freunden mit Bruderküsschen auf die Wangen?«
Storm sah zu Croy auf. Aus der Küche wehten neue Schwaden der köchelnden Bohnensuppe heran. Er verlagerte sein Gewicht. Die Stühle waren wohl nur etwas für Menschen mit einem schmalen Gesäß.
»Es gibt immer noch einen Zusammenhalt zwischen den ehemaligen Kundschaftern«, sagte er nun wieder merkwürdig hölzern. »Einige unserer ehemaligen Tschekisten leiden an den Nachwirkungen ihrer Haftzeit oder kommen noch immer nicht mit den Folgen des
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