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Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
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doppelten Lebenslaufs oder der Täuschung zurecht. Nehmen Sie die Romeo-Fälle, diesen Medienbegriff …« Storm sah ihn an, in seinen Augen lag eine Spur von Verachtung. »Es gab natürlich große Enttäuschungen, aber auch echte Liebe. Und Ehepaare, die vorher nicht heiraten konnten, weil das ihre Tätigkeit nicht zuließ. So fanden sich also Kundschafter unseres Auslandsgeheimdienstes mit ihren zum Teil schon erwachsenen Kindern ein. Aber«, und da machte Storm eine abwehrende Handbewegung, »das passt alles nicht in die Klischees, die über das MfS doch sehr stark verbreitet sind. Insofern …« Er unterbrach sich und sah freundlich lächelnd auf die Kellnerin, die ihm die Suppe servierte. »Insofern also war es ein Kaffeekränzchen, ja.«
    Während er zu löffeln begann, dachte Croy über den Beginn von Storms Karriere nach. Sie war typisch für viele Stasi-Lebensläufe in der DDR.
    Als Storm nach dem Pflichtwehrdienst Ökonomie und Feinoptik in Jena studierte, wehte der gesellschaftliche Wind schon rau. 1968 war in Prag der Kampf zwischen Sozialismusreformern und sowjettreuen Truppen entbrannt, der die Angst vor einer Unterwanderung durch den Westen in den gesamten Staatenbund östlich der Elbe hineintrug. Storms Eltern, die eine Kaffeerösterei besaßen, wurden enteignet, die Firma zu einem »Volkseigenen Betrieb« erklärt.
    Bereits im ersten Semester war klar, dass man von Michael Storm als zukünftigem Ingenieur eine Mitgliedschaft in der SED erwartete, ohne die angeblich eine Arbeit mit internationalem Kontakt unmöglich sei. Storm ging darauf ein.
    Aber dabei blieb es nicht: Als seine Eltern, enttäuscht von der unfähigen DDR-Planwirtschaft, von einer Reise nach Hamburg nicht mehr nach Dresden zurückkehrten und in einem Brief Michaels erwachsenes Alter und die Hoffnung auf seine Selbstversorgung als weitere Gründe nannten, war er erpressbar geworden.
    Er fand auf seinem Konto wenige Tage später einen Betrag über fünfzigtausend Ostmark vor, eine Überweisung, die seine Eltern vor ihrer Flucht getätigt hatten. Doch kurz darauf zwangen ihn zwei Männer in Zivil direkt aus der Vorlesung in einen dunkelblauen »Wolga«, um ihn mehr als eine Woche in einer alten Gründerzeitvilla am Stadtrand von Dresden zu verhören.
    Storm hatte nicht viel zu erzählen, denn die Flucht seiner Eltern hatte auch ihn überrascht. Unter dem Druck der Geheimdienstmänner unterschrieb er eine Verpflichtung zur Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit. »Arbeiten Sie jedoch nicht mit uns zusammen«, versuchte ihn einer der Männer einzuschüchtern, »können Sie das Studium vergessen und auch jeden anderen Beruf in diesem Land.«
    Storm unterschrieb, ohne zu ahnen, dass die Staatssicherheit in ihm eine lukrative Investition sah, von der man sich später eine lohnende Rendite versprach.
     
    »Na?«, fragte Storm, »worüber denken Sie nach?« Er leckte sich über die Lippen, als hoffe er auf eine zweite Portion Suppe.
    »Über Sie. Wie Sie wurden, was Sie sind. Wie kam es eigentlich, dass Sie nach Ihrem Studium so schnell in den Westen gelangten?« Croy griff nach seinem Kaffee.
    Storm zog die Mundwinkel herab. »Olle Kamellen«, sagte er kurz angebunden.
    »Das sind meist die besten Geschichten«, sagte Croy ebenso kurz.
    Storm schüttelte den Kopf. »Was hat das denn mit Ihrem Fall zu tun?«
    »Ich habe da ein Informationsloch. Kann sein, dass Kaltenborn mehr weiß und Sie deswegen engagieren will. Mir hat er nichts über Sie erzählt. Doch ich muss mit Ihnen arbeiten. Also reden Sie schon.«
    Storm sah missmutig auf seine Fingernägel. »Scheiß Stühle«, sagte er. »Sind noch DDR-Ware.«
    Croy bestellte einen weiteren Kaffee, Storm zog eine Packung John Players aus der Tasche, entnahm eine Zigarette und spielte mit ihr, ohne sie anzuzünden.
    »Ich brauchte damals keine großartig gestrickte Legende. In meinem Pass stand Hamburg als Geburtsort, ich sächselte nicht, hatte noch etwas Plattdeutsch parat und brauchte lediglich einen Abschluss einer westdeutschen Universität. Und da sich Carl Zeiss nach der erzwungenen Abspaltung von Jena im schwäbischen Oberkochen eine neue Existenz aufgebaut hatte, konnte ich relativ mühelos dort in die Optikforschung gehen.«
    Croy nickte langsam. »Verstehe.«
    Storm spielte weiter mit der Zigarette. »Ich kam als 26-jähriger Ingenieur in den Westen. Das war 1973. Die DDR war eine sehr junge Volkswirtschaft im Gegensatz zu den Amerikanern, den Briten oder den Franzosen.

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