Trias
Unternehmen? Projekt? Kameraden? P.S.? Immerhin stand S.R. wohl für Stefan Rumpf. Von ihrem Wohnzimmerfenster aus sah sie auf die Uhr am Roten Rathaus, dem Sitz der Berliner Landesregierung. Sie zeigte auf 21 Uhr 43.
Sie kam nicht weiter und wollte auch nicht mehr weiterkommen. Ein wenig spöttisch dachte sie, dass Männer im Gegensatz zu Frauen Probleme damit hätten, ihre Freunde auch als Freunde zu bezeichnen. Vielleicht war es eine Art männlicher Feigheit, dass sie eher »Kumpel« oder »Kamerad« sagten. Sie dachte an Katja, die sie niemals als Kameradin bezeichnen würde.
Sie war mit dem Ergebnis ihrer Suche unzufrieden, die Mappe hatte ihr kaum neue Erkenntnisse gebracht. Immerhin schien nichts darauf hinzudeuten, dass es eine Konkurrentin gegeben hatte.
Obwohl sie sich erschöpft fühlte, drängte es sie nach einer befreundeten Stimme. Sie drückte sich ein Kissen in den Rücken, wählte die Nummer Katjas und wartete einmal mehr vergebens auf ihre Stimme in Echtzeit. Sie verabscheute Mailboxen. Sie löschte das Licht über ihrer Couch.
Faule Gefühle aus Halbwissen und Verschwörungstheorien keimten in ihr und begannen schnell zu rumoren. Von ihrem Fenster aus sah sie die aufblitzenden Positionslichter der Antenne des Berliner Fernsehturms.
Sie wollte ihren Mann so vieles fragen. Über diese Papiere, ihre Ehe, ob er bei seinem Tod gelitten hatte, ob es wirklich einen Himmel gab …
Sie warf eine Decke über sich und zog sie sich hoch bis zum Hals. Sie spürte ihren Herzschlag. Er schien ihr viel zu schnell. Ohne Gegenwehr ließ sie Erinnerungen zu, die plötzlich in ihr aufblitzten. Ihre Hochzeitsreise nach Saint-Tropez. Ihre Versuche, ein Kind zu zeugen; der Streit um ein blaues Ballkleid mit silbernen Pailletten; die Suche nach der gemeinsamen Wohnung - all die heiteren und ärgerlichen Momente. Sie blickte auf ihre Schlafzimmertür und wusste, dass es ihr in nächster Zeit nicht gelingen würde einzuschlafen. Unsicher, wie sie zur Ruhe finden sollte, erhob sie sich wieder, tapste vollständig bekleidet, aber mit nackten Füßen zu ihrem Kühlschrank und öffnete eine Flasche Grauen Burgunder. Sie schmiegte sich in ihre Kissen auf dem Sofa, sah auf den Alexanderplatz unter sich, ein Glas Wein in der Hand. Sie trank ihn in großen Schlucken. Wieder fragte sie sich, warum Katja sich nicht mehr meldete. Plausible Gründe wollten ihr nicht einfallen. Sie goss sich ein zweites Glas nach. Doch es schien ihr, als machte sie der Wein eher wacher als müder. Schließlich entschied sie sich für Schlaftabletten. Sie spürte zwar ein schlechtes Gewissen dabei; doch ihr Drang, diesen Tag endlich hinter sich zu lassen und einfach nur wegzudämmern, war stärker.
Sie schluckte eine Schlaftablette. Ob eine wirklich reichte? Sie schob eine zweite nach und spülte sie mit dem Wein hinunter. Ihr Mantel lag noch immer neben ihr auf der Couch. Wieder erreichten sie die Erinnerungen. Wieder war es das blaue Ballkleid mit den silbernen Pailletten - wie sie es anprobierte, sich vor dem Spiegel drehte, in ihrer Fantasie die passende milchfarbene Perlenkette umlegte. »Nein«, hatte Stefan damals zu ihr gesagt, »es passt nicht zu dir.« Er hatte sich durchgesetzt, gegen ihren Willen.
Sie stemmte sich mühsam aus dem Sofa, schon etwas wacklig auf den Beinen. Sie trug den Mantel samt Papiere in den Flur. Dort presste sie die Mappe in eine seiner Innentaschen. Ihr Kopf war bereits stark vernebelt. Sie schwankte durch das Wohnzimmer in ihr Schlafzimmer und fiel noch angekleidet auf ihr Bett. Minuten später packte der sedative Wirkstoff der Tabletten endgültig zu. Sie tauchte in ein tiefes Dunkel.
Am Fuß des Fernsehturmes saßen zwei Männer auf einer Parkbank, zwei Kabel hinter den Ohren. Sie fühlten sich unbeobachtet.
»Genie hier, die Wohnung ist jetzt dunkel.« »Laut unseren Telefonaufzeichnungen hat sie versucht, ihre Freundin anzurufen. Ich nehme an, sie wollte ihr von der Mappe erzählen«, plärrte die Stimme von Marlowe alias Hans Strachow zurück. »Wir haben die wichtigsten Papiere vorher herausgenommen. Aber um sie unter dem Verdacht des Geheimnisverrats mitzunehmen, reicht es.«
»Heute Nacht noch?«
»Ja, fällt am wenigsten auf. Und dann gleich in die Spedition mit ihr. Habt ihr alles dabei?«
»Ja, zwei Ladungen.«
»Gut, setzt ihr alles, wenn es sein muss. Ende.«
Fünf Minuten später standen die beiden Männer vor Emmas Wohnung.
Die Tür war unverschlossen. Leichtes Spiel. Maskiert und
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