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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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und der Raum stank nach Desinfektion oder Ähnlichem. Er holte eins der Stäbchen raus, mit denen die Zunge runtergedrückt wird, und das Gerät, das er hat, um in den Hals zu leuchten und hineinzuschauen.
    »Jetzt mach den Mund auf, so weit du kannst.«
    Also tue ich es, aber gerade, als er mir das Stäbchen auf die Zunge drücken will, rufe ich: »April, April!«
    Auf seinem Gesicht war nicht mal der Anflug eines Lächelns. Er warf das Stäbchen weg, knipste die Lampe im Gerät aus und sagte kein Wort, bis er die Tür nach draußen aufriss. Dann sagte er: »Zufällig habe ich kranke Menschen zu versorgen, Nancy. Warum benimmst du dich nicht endlich wie eine Erwachsene?«
    Ich bin nur mit eingezogenem Schwanz weggelaufen. Ich habe mich nicht getraut, ihn zu fragen, warum er keinen Spaß versteht. Zweifellos wird diese neugierige Person in seiner Küche das überall herumtratschen, wie wütend er auf mich war und dass ich mich gedemütigt davonschleichen musste. Ich habe mich den ganzen Tag über schrecklich gefühlt. Und das Blödeste daran ist, dass ich mich dazu auch noch krank gefühlt habe, fiebrig und mit leicht entzündetem Hals, also habe ich mich mit einer Decke über den Beinen ins Wohnzimmer gesetzt und den alten Dante gelesen. Morgen Abend trifft sich der Leseclub, und ich will den anderen ein ganzes Stück voraus sein. Das Problem ist nur, dass nichts davon hängen geblieben ist, weil ich die ganze Zeit über daran denken musste, was für eine Dummheit ich begangen hatte, und ich hörte ihn wieder mit schneidender Stimme sagen, ich solle mich wie eine Erwachsene benehmen. Aber dann habe ich mich in Gedanken mit ihm gestritten und ihm entgegnet, dass nichts Schlimmes daran ist, ein bisschen Spaß im Leben zu haben. Ich glaube, sein Vater war Pfarrer, kann es daran liegen? Pfarrersfamilien müssen oft umziehen, sodass ihm nie Zeit geblieben ist, sich einer Clique anzuschließen, in der man zusammen aufwächst und miteinander Schabernack treibt.
    Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er mir in seiner Weste und dem gestärkten Hemd die Tür aufmacht. Groß und dünn wie ein Messer. Ordentlich gescheiteltes Haar und säuberlicher Schnurrbart. Eine Katastrophe.
    Ich frage mich, ob ich ihm kurz schreiben soll, dass ein Scherz meiner Meinung nach kein Schwerverbrechen ist. Oder soll ich mich einfach nur in gesetzten Worten entschuldigen?
    Ginny kann ich nicht zu Rate ziehen, denn er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht, und das heißt, er hält sie für eine würdigere Gefährtin als mich. Und meine Stimmung ist so, dass ich rätseln würde, ob sie mich nicht insgeheim immer noch ausstechen will. (Obwohl sie ihn abgewiesen hat.)
    *
    4 . April. Wilf ist nicht zum Leseclub gekommen, weil ein alter Mann einen Schlaganfall hatte. Also habe ich ihm geschrieben. Halb entschuldigend, aber nicht allzu tief gesenkten Hauptes. Das nagt ganz schlimm an mir. Nicht der Brief, sondern was ich getan habe.
    *
    12 . April. Das war heute die größte Überraschung meines dummen, jungen Lebens, als es mittags geklopft hat und ich die Tür aufmachte. Vater war gerade nach Hause gekommen und aß zu Mittag, und da stand Wilf. Er hat auf den Brief, den ich ihm geschrieben habe, nie geantwortet, und ich hatte mich schon damit abgefunden, dass er vorhatte, mir für alle Zeit böse zu sein, und dass ich in Zukunft nichts weiter tun konnte, als ihn von oben herab zu behandeln, weil mir keine andere Wahl blieb.
    Er fragte, ob er mich beim Essen gestört hätte.
    Das konnte er gar nicht, weil ich beschlossen habe, kein Mittagbrot mehr zu essen, bis ich fünf Pfund abgenommen habe. Während Vater und Mrs. Box ihrs einnehmen, schließe ich mich ein und stürze mich auf Dante.
    Nein, sagte ich.
    Er sagte, na dann, hätte ich Lust, mit ihm einen Ausflug zu machen? Wir könnten uns ansehen, wie das Eis auf dem Fluss hinaustreibt, sagte er. Er fuhr fort und erklärte, dass er fast die ganze Nacht über aufgeblieben war und die Praxis um ein Uhr aufmachen müsse, was ihm keine Zeit für ein Nickerchen ließ, und die frische Luft werde ihn am ehesten beleben. Er sagte nicht, warum er in der Nacht aufgeblieben war, also dachte ich mir, dass es wohl eine Niederkunft war und er meine, es könne mich in Verlegenheit bringen, wenn er es mir erzählte.
    Ich sagte, ich hätte gerade mit meinem LektüreTagespensum angefangen.
    »Gönne Dante für ein Weilchen eine Pause«, sagte er.
    Also habe ich meinen Mantel geholt und Vater Bescheid gesagt, und wir

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