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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Wirkung – und wenn ich es bedenke, nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer –, und es ist nicht so, dass er nichts davon weiß, sondern dass er keine Verantwortung dafür übernimmt. Um es offen zu sagen, ich kann mir kein schlimmeres Schicksal vorstellen, als sich in ihn zu verlieben. Er scheint daran zu denken, sich auf irgendeine Weise mit Dir zusammenzutun, um über Dich oder diese Experimente oder was da geplant ist, zu schreiben, und er wird sehr freundlich und natürlich sein, aber Du könntest den Fehler begehen, sein Verhalten für mehr zu halten, als es ist. Bitte sei mir für diese Worte nicht böse. Komm mich besuchen. Gruß und Kuss, Nancy.
     
    Liebe Nancy,
    bitte sorge Dich nicht um mich. Ollie hat mich von allem unterrichtet. Wenn Du diesen Brief erhältst, werden wir verheiratet sein und vielleicht schon in den Staaten. Es tut mir leid, dass ich Dein neues Haus nicht zu sehen bekomme. Deine Tessa.

Ein Loch im Kopf
    Das Bergland im unteren Michigan ist mit Eichenwäldern bedeckt. Nancys einziger Besuch dort fand im Herbst des Jahres 1968 statt, nachdem das Eichenlaub schon die Farbe gewechselt hatte, aber immer noch an den Bäumen hing. Sie war nicht an Wälder, sondern an lichte Laubhaine gewöhnt, mit sehr vielen Ahornbäumen, deren Herbstfarben Rot und Gold waren. Die dunkleren Farben, das Rostbraun oder Rotbraun der großen Eichenblätter trug nicht dazu bei, ihre Stimmung aufzuheitern, nicht mal im Sonnenlicht.
    Die Anhöhe, auf der sich die Privatklinik befand, war vollkommen baumlos und lag in beträchtlicher Entfernung von irgendeiner Stadt oder einem Dorf oder auch nur einer bewohnten Farm. Es war ein Gebäude der Art, wie man sie früher in einigen Kleinstädten sah, »umgewandelt« in Pflegeheime, nachdem sie der angestammte Sitz einer bedeutenden Familie gewesen waren, die ausgestorben war oder das Haus nicht mehr unterhalten konnte. Zwei Erkerfenster zu beiden Seiten der Haustür. Dachgauben über die ganze Front im zweiten Stock. Alte, verschmutzte Ziegelsteine und keine Spur von Sträuchern oder Hecken oder Obstbäumen, nur kurz gemähter Rasen und ein kiesbedeckter Parkplatz.
    Keine Möglichkeit, sich zu verstecken, falls jemand auf die Idee kommen sollte auszureißen.
    In der Zeit vor Wilfs Erkrankung wäre ihr solch ein Gedanke nie gekommen – oder wenigstens nicht sofort.
    Sie stellte ihr Auto neben einigen anderen ab und überlegte, ob diese dem Personal gehörten oder Besuchern. Wie viele Besucher würden zu einem so abgelegenen Ort kommen?
    Man musste eine Treppe hinaufsteigen, um das Schild an der Haustür lesen zu können, von dem man angewiesen wurde, um die Ecke zur Seitentür zu gehen. Von nahem sah sie Gitter an einigen Fenstern. Nicht an den Dachfenstern – die jedoch keine Vorhänge hatten –, aber an einigen Fenstern über ihr und an einigen unter ihr, in dem, was das Souterrain sein musste.
    Die Tür, zu der sie verwiesen worden war, führte in dieses Souterrain. Sie drückte auf die Klingel, dann klopfte sie, dann probierte sie es wieder mit der Klingel. Sie meinte, es klingeln zu hören, aber sie war sich nicht sicher, denn im Haus herrschte großer Lärm. Sie probierte den Türknauf, und zu ihrer Überraschung – in Anbetracht der Gitter an den Fenstern – ging die Tür auf. Sie stand auf der Schwelle der Küche, der großen, geschäftigen Küche einer Einrichtung, wo viele Leute abwaschen und nach dem Mittagessen aufräumen.
    Die Küchenfenster waren kahl. Die Decke war hoch und verstärkte den Lärm, die Wände und die Schränke waren alle weiß gestrichen. Etliche Lampen brannten, obwohl das Licht des klaren Herbsttages auf seinem Höhepunkt war.
    Sie wurde natürlich sofort bemerkt. Aber niemand schien es eilig zu haben, sie zu begrüßen oder zu fragen, was sie da tat.
    Ihr fiel noch etwas anderes auf. Im Verein mit dem harten Druck des Lichts und des Lärms stellte sich dasselbe Gefühl ein, das sie jetzt in ihrem eigenen Haus hatte und das andere Leute, die ihr Haus betraten, noch viel stärker spüren mussten.
    Das Gefühl, dass etwas aus dem Lot war, in einer Weise, die sich nicht in Ordnung bringen oder ändern ließ, sondern der man nur standhalten konnte, so gut es ging. Manche Menschen, die solche Orte betreten, geben sofort auf, sie wissen nicht, wie sie standhalten sollen, sie sind verletzt oder verängstigt, sie müssen fliehen.
    Ein Mann in weißer Schürze schob eine Karre mit einer Mülltonne darin auf sie zu. Sie konnte nicht

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