Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
bestimmen. Jedenfalls sagte sie plötzlich etwas, wenn auch nur im Flüsterton: »Juliet?«
    Juliet blieb an der Tür stehen.
    »Du musst Don für … einen ziemlichen Einfaltspinsel halten«, sagte Sara. »Aber er ist nicht gesund. Er ist Diabetiker. Es ist ernst.«
    Juliet sagte: »Ja.«
    »Er braucht seinen Glauben.«
    »Als Schlupfloch«, sagte Juliet, aber leise, und vielleicht hörte Sara sie nicht, denn sie redete weiter.
    »Mein Glaube ist nicht so einfach«, sagte Sara, wobei ihre Stimme stark zitterte (und, so kam es Juliet in diesem Augenblick vor, bewusst Mitleid heischte). »Ich kann ihn nicht beschreiben. Aber er ist … ich kann nur sagen … er ist
etwas
. Er ist ein … wundervolles …
Etwas
. Wenn es wirklich schlimm für mich wird … wenn es so schlimm wird, dass ich … weißt du, was ich dann denke? Ich denke, gut. Ich denke … Bald.
Bald werde ich Juliet sehen

    *
    Berüchtigter (Geliebter) Eric,
    wo soll ich anfangen? Mir geht es gut, und Penelope geht es gut. Unter den Umständen. Sie läuft jetzt selbstsicher um Saras Bett herum, hat aber noch nicht die Traute, sich ohne Halt auf den Weg zu machen. Die Sommerhitze ist unglaublich, im Vergleich zur Westküste. Sogar, wenn es regnet. Bloß gut, dass es regnet, denn Sam hat sich mit Leib und Seele auf den Gemüseanbau geworfen. Kürzlich bin ich mit ihm in seinem uralten Vehikel herumgefahren, um frische Himbeeren und Himbeermarmelade (zubereitet von einer Art wiedergeborener Ilse Koch, die unsere Küche bevölkert) und frisch ausgegrabene neue Kartoffeln auszuliefern. Er ist Feuer und Flamme. Sara bleibt im Bett und döst vor sich hin oder schaut sich antiquarische Modezeitschriften an. Ein Geistlicher kam sie besuchen, und ich bin mit ihm in einen heftigen dummen Streit über die Existenz Gottes oder irgend so ein heißes Thema geraten. Der Besuch verläuft jedoch erträglich …
    Das war ein Brief, den Juliet Jahre später fand. Eric musste ihn rein zufällig aufbewahrt haben – im weiteren Leben hatte der Brief keine besondere Rolle gespielt.
    *
    Sie war dann noch einmal in das Haus ihrer Kindheit zurückgekehrt, zu Saras Beerdigung, einige Monate, nachdem dieser Brief geschrieben worden war. Irene hatte sich nicht mehr blicken lassen, und Juliet konnte sich nicht erinnern, ob sie nach ihr gefragt hatte oder erfahren hatte, was aus ihr geworden war. Höchstwahrscheinlich hatte sie geheiratet. Wie Sam es tat, etwa zwei Jahre nach Saras Tod. Er heiratete eine Lehrerkollegin, eine gutmütige, hübsche, tüchtige Frau. Sie lebten in ihrem Haus – das Haus, in dem er mit Sara gewohnt hatte, riss Sam ab, um den Garten zu vergrößern. Als seine Frau in den Ruhestand ging, kauften sie sich einen Wohnwagen und unternahmen lange Winterreisen. Zweimal besuchten sie Juliet in Whale Bay. Eric nahm sie auf seinem Boot mit hinaus. Sam und Eric verstanden sich gut. Blendend, wie Sam sagte.
    Als Juliet den Brief las, zuckte sie zusammen, wie es jeder tut, wenn er der erhalten gebliebenen, irritierenden Stimme eines früheren, künstlich hergestellten Ichs wiederbegegnet. Sie wunderte sich über den Frohsinn, mit dem sie alles zugeschüttet hatte und der sich nicht mit ihren schmerzlichen Erinnerungen vereinbaren ließ. Dann dachte sie, dass sich zu jenem Zeitpunkt ein Bewusstseinswandel ereignet haben musste, der ihr in Vergessenheit geraten war. Ein Bewusstseinswandel in Bezug darauf, wo sie zu Hause war. Nicht in Whale Bay bei Eric, sondern wieder da, wo sie früher zu Hause gewesen war, ihr früheres Leben lang.
    Denn das geschieht, wenn man wieder im alten Zuhause ist, man versucht, es zu bewahren und zu beschützen, so gut man kann, so lange man kann.
    Aber sie hatte Sara nicht beschützt. Als Sara gesagt hatte:
»Bald werde ich Juliet sehen«
, hatte Juliet darauf keine Antwort gewusst. Hatte sich wirklich keine finden lassen? Warum war ihr das so schwergefallen? Einfach
Ja
zu sagen. Sara hätte es sehr viel bedeutet – und sie selbst hätte es sehr wenig gekostet. Aber sie hatte sich abgewandt, hatte das Tablett in die Küche getragen und dort alles abgewaschen und abgetrocknet, die Tassen und auch das Glas, in dem die Pampelmusenlimonade gewesen war. Sie hatte alles weggeräumt.

Schweigen
    Auf der kurzen Überfahrt von Buckley Bay zum Denman Island stieg Juliet aus dem Auto und ging zum vorderen Ende der Fähre, in die Sommerbrise. Eine Frau, die dort stand, erkannte sie, und die beiden kamen ins Gespräch. Es ist nichts Ungewöhnliches,

Weitere Kostenlose Bücher