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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gesagt. »Wenn man sie auf der einen Ecke zufriedenstellt, dann schafft man's vielleicht auf der anderen, den Kindern was über die Evolution beizubringen.«
    Sara hatte sich eine Zeitlang dem Bahaismus zugewandt, aber Juliet war der Meinung, dass Saras Interesse daran inzwischen erloschen war.
    Sie kochte genug Tee für drei Personen und fand im Küchenschrank Vollkornkekse – außerdem das Messingtablett, das Sara immer für gehobene Anlässe benutzt hatte.
    Don willigte in eine Tasse Tee ein und trank in großen Schlucken das Wasser mit Eiswürfeln, an das Juliet gedacht hatte, aber zu den Keksen schüttelte er den Kopf.
    »Für mich nicht, danke.«
    Er sagte das mit besonderem Nachdruck. Als verbiete es ihm die Frömmigkeit.
    Er fragte Juliet, wo sie wohne, von welcher Beschaffenheit das Wetter an der Westküste sei und welcher Arbeit ihr Mann nachgehe.
    »Er ist Krabbenfischer, aber er ist nicht mein Ehemann«, sagte Juliet freundlich.
    Don nickte. Ah, ja.
    »Rauhe See dort draußen?«
    »Manchmal.«
    »Whale Bay. Ich habe noch nie davon gehört, aber jetzt werde ich es mir merken. In welche Kirche gehen Sie in Whale Bay?«
    »Wir gehen nicht. Wir gehen nicht in die Kirche.«
    »Gibt es dort in der Nähe keine Kirche Ihrer Konfession?«
    Lächelnd schüttelte Juliet den Kopf.
    »Es
gibt
keine Kirche unserer Konfession. Wir glauben nicht an Gott.«
    Dons Tasse klirrte etwas, als er sie auf der Untertasse absetzte. Er sagte, er bedauere, das zu hören.
    »Ja, das bedaure ich sehr. Seit wann sind Sie schon dieser Meinung?«
    »Ich weiß nicht genau. Seit ich darüber ernsthaft nachgedacht habe.«
    »Und Ihre Mutter hat mir gesagt, dass Sie ein Kind haben. Sie haben ein kleines Mädchen, nicht wahr?«
    Juliet bejahte die Frage.
    »Und die Kleine ist nicht getauft worden? Haben Sie die Absicht, sie zu einer Heidin zu erziehen?«
    Juliet antwortete, sie gehe davon aus, dass Penelope das eines Tages selbst entscheiden werde.
    »Aber wir haben die Absicht, sie ohne eine Religion zu erziehen. Ja.«
    »Das ist traurig«, sagte Don leise. »Für Sie selbst ist es traurig. Sie und Ihr – wie immer Sie ihn nennen – haben beschlossen, Gottes Barmherzigkeit abzulehnen. Nun ja. Sie sind erwachsen. Aber sie für Ihr Kind abzulehnen – das ist, als verweigerten Sie ihm die Nahrung.«
    Juliet spürte, dass sie aus der Fassung geriet. »Aber wir
glauben
nicht daran«, sagte sie. »Wir glauben nicht an Gottes Barmherzigkeit. Wir verweigern ihm nicht die Nahrung, wir weigern uns, es mit Lügen zu erziehen.«
    »Lügen. Das, woran Millionen Menschen überall auf der Welt glauben, nennen Sie Lügen. Meinen Sie nicht, dass es ein wenig vermessen von Ihnen ist, Gott eine Lüge zu nennen?«
    »Millionen Menschen glauben nicht daran, sie gehen bloß in die Kirche«, sagte Juliet in immer hitzigerem Ton. »Sie denken einfach nicht nach. Wenn es Gott gibt, dann war er es doch, der mir den Verstand gegeben hat, und wollte er dann etwa nicht, dass ich ihn benutze?
    Außerdem«, sagte sie und versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. »Außerdem glauben Millionen Menschen an etwas anderes. Sie glauben zum Beispiel an Buddha. Wird also etwas nur darum wahr, weil Millionen Menschen daran glauben?«
    »Christus lebt«, sagte Don prompt. »Buddha nicht.«
    »Das lässt sich leicht sagen. Aber was bedeutet das? Jedenfalls sehe ich nirgendwo einen Beweis dafür, dass Jesus oder Buddha oder beide noch am Leben sind.«
    »
Sie
nicht. Andere Menschen hingegen sehr wohl. Wissen Sie, dass Henry Ford – Henry Ford der Zweite, der alles hat, was man sich im Leben nur wünschen kann – dass er trotzdem an jedem Abend, den Gott werden lässt, niederkniet und zu ihm betet?«
    »Henry Ford?«, rief Juliet. »Henry Ford? Was geht
mich
das an, was
Henry Ford
tut?«
    Das Streitgespräch nahm den Verlauf, den Gespräche dieser Art unweigerlich nehmen. Die Stimme des Geistlichen, die anfangs eher traurig als zornig geklungen hatte – obschon stets mit dem Unterton eiserner Überzeugung –, hörte sich jetzt scharf und schulmeisterlich an, und Juliet, die am Beginn ihrer Meinung nach ein Hort der Vernunft gewesen war – gelassen, gescheit, geradezu aufreizend höflich –, hatte sich unversehens in kalte, schneidende Wut geredet. Beide waren bemüht, sich Entgegnungen einfallen zu lassen, die eher verletzen als überzeugen sollten.
    Sara knabberte währenddessen an einem Vollkornkeks, ohne zu den beiden hochzusehen. Hin und wieder überlief sie ein

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