Tricks
Wort
Spiritualität
muss sie schlucken, denn darin lässt sich – wie sie oft sagt – alles unterbringen, von Gebetsmühlen bis zum Hochamt. Sie hätte nie erwartet, dass Penelope sich bei ihrer Intelligenz jemals auf so etwas einlassen würde.
»Ich dachte nur, es ist besser, wenn ich es weiß«, sagt sie, »falls sie möchte, dass ich ihr etwas von ihren Sachen nachschicke.«
»Ihre Habseligkeiten?« Joan kann offenbar ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken, obwohl sie es sofort mit einem zärtlichen Gesichtsausdruck abmildert. »Penelope liegt im Moment nicht sehr viel an ihren
Habseligkeiten
.«
Manchmal hat Juliet mitten in einem Interview gemerkt, dass der Mensch ihr gegenüber eigentlich voller Feindseligkeit steckt, von der nichts zu spüren gewesen ist, als die Kameras noch nicht liefen. Ein Mensch, den Juliet unterschätzt hat, den sie für ziemlich beschränkt gehalten hat, kann plötzlich solche Kraft freilegen. Sich unernst gebende, aber tödliche Feindseligkeit. Dann gilt es für sie, sich auf keinen Fall anmerken zu lassen, davon überrascht worden zu sein, auf keinen Fall ihrerseits irgendwelche Zeichen von Feindseligkeit erkennen zu lassen.
»Was ich mit Wachstum meine, ist natürlich unser inneres Wachstum«, sagt Joan.
»Ich verstehe«, sagt Juliet und schaut ihr in die Augen.
»Penelope hat in ihrem Leben die wunderbare Gelegenheit gehabt, interessanten Menschen zu begegnen – du meine Güte, das hatte sie gar nicht nötig, sie ist ja bei einem interessanten Menschen
aufgewachsen
, bei ihrer Mutter, bei
Ihnen
–, aber wissen Sie, manchmal fehlt da eine Dimension, erwachsene Kinder haben das Gefühl, dass ihnen etwas gefehlt hat …«
»O ja«, sagt Juliet. »Ich weiß, dass erwachsene Kinder sich über alles Mögliche beklagen.«
Joan hat beschlossen, ein deutliches Wort zu sprechen.
»Die spirituelle Dimension – das muss ich sagen–, hat die in Penelopes Leben nicht völlig gefehlt? Ich nehme an, sie ist nicht in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen.«
»Die Religion war kein verbotenes Thema. Wir konnten darüber reden.«
»Aber vielleicht lag es an der Art, wie Sie darüber geredet haben. Ihre intellektuelle Art? Wenn Sie wissen, was ich meine. Sie sind so klug«, fügt sie freundlich hinzu.
»Das sagen Sie.«
Juliet wird bewusst, dass sie in Gefahr ist, jegliche Kontrolle über das Interview und auch die Selbstbeherrschung zu verlieren.
»Nicht
ich
sage das, Juliet. Das sagt
Penelope
. Penelope ist ein liebes, feines Mädchen, aber sie ist mit einem großen Hunger hierher zu uns gekommen. Hunger nach den Dingen, die es für sie in ihrem Elternhaus nicht gab. Da waren Sie, mit Ihrem wunderbaren, rastlosen, erfolgreichen Leben – aber, Juliet, ich muss Ihnen sagen, dass Ihre Tochter sich einsam gefühlt hat. Sie hat sich unglücklich gefühlt.«
»Geht das nicht den meisten Menschen dann und wann so? Dass sie sich einsam und unglücklich fühlen?«
»Dazu kann ich nichts sagen. Ach, Juliet. Sie sind eine Frau mit phantastischem Durchblick. Ich habe Sie oft im Fernsehen beobachtet, und ich habe gedacht, wie schafft sie es, den Dingen so auf den Grund zu gehen und dabei die ganze Zeit über so freundlich und höflich zu den Leuten zu sein? Ich hätte nie gedacht, dass ich Ihnen je gegenübersitzen und mit Ihnen reden würde. Und dass ich darüber hinaus in der Lage sein würde, Ihnen zu
helfen
…«
»Ich glaube, vielleicht irren Sie sich da.«
»Sie sind verletzt. Es ist nur natürlich, dass Sie verletzt sind.«
»Außerdem geht das nur mich etwas an.«
»Nun gut. Vielleicht setzt sie sich ja doch mit Ihnen in Verbindung.«
*
Penelope setzte sich tatsächlich mit Juliet in Verbindung, ein paar Wochen später. Eine Geburtstagskarte traf an ihrem eigenen – Penelopes – Geburtstag ein, dem 19 . Juni. Ihrem einundzwanzigsten Geburtstag. Es war eine Karte, wie man sie einer Bekannten schickt, deren Geschmack man nicht kennt. Keine blödelnde oder witzige oder sentimentale Karte. Auf der ersten Seite war ein kleiner Strauß Stiefmütterchen, zusammengehalten von einem schmalen roten Band, dessen Ende die Worte
Alles Gute zum Geburtstag
formte. Diese Worte wurden im Inneren wiederholt, in goldenen Lettern war noch das Wort
wünscht
hinzugefügt worden.
Ohne Unterschrift. Juliet dachte anfangs, dass jemand diese Karte an Penelope geschickt und vergessen hatte, sie zu unterschreiben, und dass sie, Juliet, den Umschlag irrtümlich geöffnet hatte. Jemand,
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