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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Jahre alten, mit Mörtel verputzten Kirchenbau, längst nicht so alt und längst nicht so eindrucksvoll wie die meisten Kirchen in dem Teil von Kanada, in dem sie aufgewachsen war. Dahinter lagen ein neueres Gebäude, mit abgeschrägtem Flachdach und einer Fensterfront, ferner eine einfache Bühne mit einigen Sitzbänken davor und ein Spielfeld, wohl für Volleyball, mit durchhängendem Netz. Alles war heruntergekommen, und das einst gerodete Stück Land wurde von Wacholdern und Pappeln zurückerobert.
    Zwei oder drei Personen – sie konnte nicht erkennen, ob es Männer oder Frauen waren – zimmerten auf der Bühne etwas zusammen, andere saßen in einzelnen Grüppchen auf den Bänken. Alle waren normal angezogen, trugen keine gelben Gewänder oder dergleichen. Einige Minuten lang nahm niemand Notiz von Juliets Auto. Dann stand jemand von einer der Bänke auf und ging gemächlich auf sie zu. Ein kleiner, bebrillter Mann in mittleren Jahren.
    Sie stieg aus dem Auto, begrüßte ihn und fragte ihn nach Penelope. Er sagte kein Wort – vielleicht gab es ein Gebot des Schweigens –, sondern nickte nur, wandte sich ab und ging in die Kirche. Aus der nach kurzem nicht Penelope kam, sondern eine schwergewichtige, sich langsam bewegende Frau mit weißen Haaren, in Jeans und einem unförmigen Sweater.
    »Welch eine Ehre, Sie kennenzulernen«, sagte sie. »Kommen Sie doch herein. Ich habe Donny gebeten, uns Tee zu bringen.«
    Sie hatte ein breites, frisches Gesicht, ein schelmisches und zugleich liebevolles Lächeln und Augen, die – so sagte man wohl dazu, dachte Juliet – verschmitzt zwinkerten. »Ich heiße Joan«, sagte sie. Juliet hatte einen angenommenen Namen wie Serenity oder etwas mit fernöstlichem Anklang erwartet, nichts so Schlichtes und Normales wie Joan. Später natürlich nannte sie sie im Stillen Päpstin Johanna.
    »Ich bin doch hier richtig? Ich kenne mich auf Denman nicht aus«, sagte sie entwaffnend. »Sie wissen, dass ich gekommen bin, um Penelope zu sehen?«
    »Natürlich. Penelope.« Joan zog den Namen in die Länge, mit einer gewissen Feierlichkeit.
    Das Innere der Kirche war durch purpurrote Stoffbahnen vor den hohen Fenstern abgedunkelt. Die Bänke und anderes Kirchenzubehör waren entfernt worden, und einfache Vorhänge waren so angebracht, dass sie abgetrennte Zellen bildeten, wie in einem Krankenhaus. Die Zelle, in die Juliet geführt wurde, verfügte jedoch nicht über ein Bett, sondern enthielt nur einen kleinen Tisch, zwei Plastikstühle und ein offenes Regal, in dem sich lose Papiere stapelten.
    »Ich fürchte, wir sind noch dabei, uns hier einzurichten«, sagte Joan. »Juliet. Darf ich Sie Juliet nennen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem zu reden, der so prominent ist.« Joan legte die Hände unter dem Kinn zu einer Gebetshaltung zusammen. »Ich weiß nicht, ob ich förmlich sein soll oder nicht.«
    »Ich bin nicht sonderlich prominent.«
    »Oh, doch. Sagen Sie so etwas nicht. Und ich muss gleich loswerden, wie sehr ich Sie für Ihre Arbeit bewundere. Sie ist ein Lichtstrahl in der Finsternis. Die einzigen Fernsehsendungen, die sich zu sehen lohnt.«
    »Vielen Dank«, sagte Juliet. »Ich habe eine Nachricht von Penelope bekommen …«
    »Ich weiß. Aber es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, Juliet, es tut mir sehr leid, und ich möchte nicht, dass Sie allzu enttäuscht sind – Penelope ist nicht hier.«
    Die Frau sagte diese Worte –
Penelope ist nicht hier
– so leichthin wie möglich. Man hätte meinen können, Penelopes Abwesenheit böte Stoff für spaßige Betrachtungen, sogar für beiderseitige Heiterkeit.
    Juliet muss tief Luft holen. Einen Augenblick lang kann sie nicht sprechen. Angst überkommt sie. Vorauswissen. Dann zwingt sie sich zu vernünftigem Umgang mit dieser Tatsache. Sie kramt in ihrer Handtasche.
    »Sie hat geschrieben, sie hofft …«
    »Ich weiß. Ich weiß«, sagt Joan. »Sie hatte auch vor, hier zu sein, aber dann konnte sie nicht …«
    »Wo ist sie? Wo ist sie hin?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Heißt das, Sie können es nicht oder Sie wollen es nicht?«
    »Ich kann es nicht. Ich weiß es nicht. Aber ich kann Ihnen eines sagen, das Sie vielleicht beruhigen wird. Wo sie jetzt auch sein mag, wofür sie sich auch entschieden haben mag, es wird das Richtige für sie sein. Es wird das Richtige für ihre Spiritualität und ihr Wachstum sein.«
    Juliet beschließt, darauf nicht einzugehen. Bei dem

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