Tricks
wartete. Penelope nahm die Nachricht mit allen Anzeichen des Entsetzens auf, dann – als Juliet sie recht förmlich in die Arme nahm – eher mit Verlegenheit. Vielleicht konnte in Heathers Haus, in dem in Weiß, Grün und Orange gehaltenen Wintergarten, während Heathers Brüder hinter dem Haus Korbwürfe übten, eine so furchtbare Nachricht kaum zu ihr durchdringen. Die Leichenverbrennung wurde nicht erwähnt – in diesem Haus und in diesem Stadtviertel hätte sie bestimmt unzivilisiert und grotesk gewirkt. In diesem Haus war überdies Juliets Auftreten von einer Munterkeit, die weit über das beabsichtigte Maß hinausging – sie benahm sich fast wie ein Stehaufmännchen.
Heathers Mutter kam nach kurzem Anklopfen herein – mit zwei Gläsern Eistee. Penelope trank ihres in großen Schlucken aus und verschwand zu Heather, die in der Diele auf sie wartete.
Heathers Mutter führte dann mit Juliet ein Gespräch. Sie entschuldigte sich dafür, sie mit praktischen Dingen zu überfallen, aber die Zeit sei knapp. Sie und Heathers Vater wollten in ein paar Tagen in Richtung Ostküste fahren, um Verwandte zu besuchen. Sie würden einen Monat lang fort sein und hatten geplant, Heather mitzunehmen. (Die Jungen gingen in ein Ferienlager.) Aber jetzt wollte Heather auf keinen Fall mitkommen und hatte sie angefleht, hier im Haus bleiben zu dürfen, mit Penelope. Eine Vierzehnjährige und eine Dreizehnjährige konnten aber nicht allein gelassen werden, und ihr war der Gedanke gekommen, dass Juliet vielleicht einen Aufenthalt an einem anderen Ort, eine Atempause gebrauchen konnte, nach allem, was sie durchgemacht hatte. Nach ihrem tragischen Verlust.
Und so kam es, dass Juliet plötzlich in einer ganz anderen Welt lebte, in einem großen, makellos reinen Haus, geschmackvoll in hellen Farben eingerichtet und mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, die hier als selbstverständlich galten, aber für sie der reinste Luxus waren. Dies in einer leicht gewundenen Straße, die von ähnlichen Häusern gesäumt war, hinter ordentlich gestutzten Hecken und üppigen Blumenbeeten. Sogar das Wetter war in jenem Monat makellos – warm, luftig, sonnig. Heather und Penelope gingen baden, spielten im Garten hinter dem Haus Federball, gingen ins Kino, buken Kekse, stopften sich voll, machten Diät, arbeiteten an ihrer Sonnenbräune, füllten das Haus mit Schlagern, deren Texte Juliet einfältig und nervend fand, luden sich manchmal Freundinnen ein, luden Jungs nicht direkt ein, führten aber lange, frotzelnde, ziellose Unterhaltungen mit welchen, die am Haus vorbeikamen oder nebenan geklingelt hatten. Durch Zufall hörte Juliet, wie Penelope zu einem der eingeladenen Mädchen sagte: »Na ja, eigentlich kannte ich ihn kaum.«
Sie sprach von ihrem Vater.
Schwer zu glauben.
Sie hatte – anders als Juliet – nie Angst gehabt, auch bei Wellengang mit dem Boot hinauszufahren. Sie hatte ihm in den Ohren gelegen, sie mitzunehmen, und damit oft Erfolg gehabt. Wenn sie Eric zum Boot folgte, in ihrer professionell aussehenden orangefarbenen Schwimmweste, in den Händen, was sie an Geräten schleppen konnte, trug ihr Gesicht immer einen Ausdruck besonderer Ernsthaftigkeit und Hingabe. Sie merkte sich, wie die Körbe angebracht wurden, und war bald geschickt, flink und unbarmherzig im Köpfen und Sortieren des Fangs. In einem bestimmten Stadium ihrer Kindheit – etwa von acht bis elf – hatte sie immer gesagt, wenn sie groß sei, wolle sie aufs Meer hinausfahren und Fische fangen, und Eric hatte ihr erzählt, dass es heutzutage Frauen gab, die das taten. Juliet hatte es für möglich gehalten, da Penelope aufgeweckt, aber nicht lesewütig war, dazu körperlich sehr aktiv und tapfer. Aber außerhalb von Penelopes Hörweite sagte Eric, er hoffe, diese Idee werde sich verflüchtigen, denn dieses Leben wünsche er niemandem. So sprach er immer über die Arbeit, die er gewählt hatte, mit ihrer Schwere und Unsicherheit, dabei waren es eben diese Dinge, dachte Juliet, auf die er stolz war.
Und jetzt wurde er fallen gelassen. Von Penelope, die sich kürzlich die Zehennägel rot lackiert hatte und eine falsche Tätowierung um ihren Bauchnabel herum zur Schau trug. Er, der ihr Leben erfüllt hatte. Sie ließ ihn fallen.
Allerdings hatte Juliet das Empfinden, dasselbe zu tun. Natürlich war sie damit beschäftigt, sich nach einer Arbeitsstelle und einem neuen Wohnort umzusehen. Das Haus in Whale Bay hatte sie schon zum Verkauf angeboten – sie konnte sich
Weitere Kostenlose Bücher