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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hatte, die sie für ihn empfand (oder empfunden hatte), dass er mit ihr eine Lüge gelebt hatte. Dass Sex ihm nichts bedeutete oder jedenfalls nicht das, was Sex für sie bedeutete (bedeutet hatte), dass er es mit jeder tat, die zur Verfügung stand.
    Nur die letzte dieser Behauptungen enthielt ein Körnchen Wahrheit, und in ruhigerem Gemütszustand wusste sie das auch. Aber sogar dieses bisschen Wahrheit genügte, um alles um sie herum einzureißen. Es hätte nicht genügen dürfen, aber es genügte. Und Eric konnte einfach nicht – beim besten Willen nicht – begreifen, warum das so war. Er war nicht überrascht, dass sie ihm Vorhaltungen machte und sogar weinte (obwohl eine Frau wie Christa das nie getan hätte), aber dass sie wirklich tief verletzt war, dass sie sich all dessen beraubt fühlte, was ihr Halt gegeben hatte – und wegen etwas, das
zwölf Jahre
zurücklag –, das konnte er nicht verstehen.
    Manchmal glaubte er, sie spielte ihm nur etwas vor, bauschte es auf, manchmal wiederum litt er schmerzlich darunter, dass er ihr Kummer bereitet hatte. Ihr gegenseitiger Kummer erregte beide, und sie verbrachten eine herrliche Liebesnacht. Und jedes Mal dachte er, nun sei es vorbei, nun habe ihr Leid ein Ende. Und jedes Mal irrte er sich.
    Im Bett lachte Juliet und erzählte ihm von Pepys und Mrs. Pepys, die unter ähnlichen Umständen in Leidenschaft entbrannt waren. (Seit sie ihr Studium der Klassischen Philologie mehr oder weniger aufgegeben hatte, las sie alles Mögliche, und inzwischen schien alles, was sie las, mit Ehebruch zu tun zu haben.) Nie so oft und nie so leidenschaftlich, hatte Pepys vermeldet, obwohl er auch festgehalten hatte, dass seine Frau durchaus daran gedacht hatte, ihn im Schlaf zu ermorden. Juliet lachte darüber, aber eine halbe Stunde später, als er sich verabschieden kam, bevor er mit dem Boot hinausfuhr, um nach seinen Garnelenkörben zu sehen, hatte sie eine steinerne Miene aufgesetzt und gab ihm einen resignierten Kuss, als habe er vor, sich mit einer anderen Frau zu treffen, draußen in der Bucht unter einem regnerischen Himmel.
    *
    Es kam noch mehr als nur Regen. Das Wasser war kaum kabbelig, als Eric hinausfuhr, aber im Laufe des Nachmittags kam plötzlich starker Wind auf, aus Südost, und peitschte die See im Desolation Sound und Malaspina Strait auf. Er hielt fast bis zur Dunkelheit an – die in dieser letzten Juniwoche erst gegen elf Uhr einbrach. Um diese Zeit wurde ein Segelboot aus dem Campbell River vermisst, mit drei Erwachsenen und zwei Kindern an Bord. Außerdem zwei Fischerboote – eins mit zwei Mann an Bord und das andere mit nur einem Mann – Eric.
    Der nächste Morgen war ruhig und sonnig – die Berge, das Wasser, die Küste, alles glatt und glitzernd.
    Es war natürlich möglich, dass niemand von den Vermissten ertrunken war, dass sie Schutz gefunden und die Nacht in irgendeiner der zahllosen kleinen Buchten zugebracht hatten. Das kam allerdings eher für die Fischer in Frage als für die Urlauberfamilie auf dem Segelboot, die nicht aus der Gegend stammte, sondern aus Seattle. Boote fuhren sofort an jenem Morgen hinaus, um die Küsten des Festlandes und der Inseln und auch das Wasser abzusuchen.
    Die ertrunkenen Kinder wurden als erste gefunden, in ihren Schwimmwesten, und am Ende des Tages wurden auch die Leichen ihrer Eltern geborgen. Der Großvater, der sie begleitet hatte, wurde erst am Tag darauf gefunden. Die Leichen der Männer, die zusammen auf Fischfang gefahren waren, tauchten nie auf, obwohl das Wrack ihres Bootes in der Nähe von Refuge Cove an Land gespült wurde.
    Erics Leichnam wurde am dritten Tag geborgen. Juliet wurde nicht erlaubt, ihn zu sehen. Etwas hatte sich über ihn hergemacht, hieß es (womit ein Tier gemeint war), nachdem der Leichnam ans Ufer gespült worden war.
    Vielleicht lag es daran – weil der Leichnam unmöglich aufgebahrt werden konnte und deshalb auch kein Leichenbestatter gebraucht wurde –, dass Erics alte Freunde und Fischerkollegen auf die Idee kamen, Eric am Strand zu verbrennen. Juliet hatte nichts dagegen. Ein Totenschein musste ausgestellt werden, also wurde der Arzt, der einmal in der Woche nach Whale Bay kam, in seiner Praxis in Powell River angerufen, und er erteilte Ailo, die ihm allwöchentlich assistierte und staatlich geprüfte Krankenschwester war, die Vollmacht dazu.
    Es lag viel Treibholz herum, viel von der mit Meersalz getränkten Borke, die ein prächtiges Feuer abgibt. Innerhalb weniger

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