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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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die Reinheit des Lebens und Denkens, ihrer Verachtung für jeglichen Besitz, sogar für Kleidung und Nahrung. Eine schöne Maid, die unter ihnen aufgewachsen war, mochte sich eine perverse Sehnsucht nach einem elementaren, ekstatischen Leben bewahrt haben.
    Juliet freundete sich mit einem Mann namens Larry an. Er gab Griechischunterricht und hatte Juliet erlaubt, die Müllsäcke im Keller seines Hauses unterzustellen. Er malte sich gerne aus, wie sie aus
Aithiopika
ein Musical machen konnten. Juliet strickte an seinen Phantasievorstellungen mit, sie ließ sich sogar herrlich alberne Songtexte und groteske Bühneneffekte einfallen. Aber insgeheim war sie in Gedanken bei einem anderen Handlungsgeschehen, das auf Verzicht und Rückbesinnung hinauslief und in dem das Mädchen immer nur auf Schwindler und Scharlatane traf, Falschmünzer, elende Nachahmer dessen, wonach sie wirklich suchte. Was schließlich zu einer Aussöhnung mit der zwar auf Abwege geratenen, aber reuigen und vom Wesen her großmütigen Königin von Äthiopien führte.
    *
    Juliet war sich nahezu sicher, dass sie die Hexe Shipton hier in Vancouver gesehen hatte. Sie hatte einige Kleidungsstücke, die sie nie wieder tragen würde (ihre Garderobe beschränkte sich zunehmend aufs Praktische), zu einem Heilsarmeeladen für Bedürftige gebracht, und als sie ihre Tüte im Annahmeraum absetzte, sah sie eine dicke alte Frau in einem weiten Kleid, die Schildchen an Hosen anbrachte. Die Frau plauderte mit den anderen Arbeiterinnen. Sie hatte das Gebaren einer Aufseherin, einer fröhlichen, aber wachsamen Aufpasserin – oder vielleicht das Gebaren einer Frau, die stets diese Rolle einnahm, ob sie nun dazu befugt war oder nicht.
    Wenn sie tatsächlich die Hexe Shipton war, dann hatte sie sich verschlechtert. Aber nicht viel. Denn wenn sie die Hexe Shipton war, verfügte sie dann nicht über einen solchen Vorrat an Unbeugsamkeit und Selbstzufriedenheit, dass ein richtiger Absturz unmöglich war?
    Und auch über einen Vorrat an Ratschlägen, bösartigen Ratschlägen.
    Sie ist mit einem großen Hunger hierher zu uns gekommen
.
    *
    Juliet hatte Larry von Penelope erzählt. Sie musste einen Menschen haben, der es wusste. »Hätte ich mit ihr über ein edelmütiges Leben reden müssen?«, sagte sie. »Aufopferung? Das eigene Leben den Bedürfnissen von Fremden öffnen? Ich bin nie auf die Idee gekommen. Ich muss mich verhalten haben, als würde es vollkommen reichen, wenn sie so wird wie ich. Hätte sie das angewidert?«
    *
    Larry war kein Mann, der von Juliet mehr als ihre Freundschaft und ihre gute Laune wollte. Er war das, was man früher einen altmodischen Junggesellen nannte, asexuell, soweit sie es beurteilen konnte (aber vielleicht konnte sie es nicht gut genug beurteilen), prüde gegenüber allen persönlichen Geständnissen, unendlich unterhaltsam.
    Zwei andere Männer hatten sich eingefunden, die sie zur Partnerin wollten. Einen davon hatte sie kennengelernt, als er sich auf der Straße an ihren Bistrotisch setzte. Er war seit kurzem Witwer. Sie mochte ihn, aber er war so schreiend einsam und stellte ihr so verzweifelt nach, dass sie Angst bekam.
    Der andere Mann war Christas Bruder, dem sie zu Christas Lebzeiten mehrmals begegnet war. Seine Gesellschaft tat ihr wohl – in vieler Hinsicht war er wie Christa. Seine Ehe hatte vor langer Zeit geendet, er war nicht verzweifelt auf der Suche – sie wusste von Christa, dass es heiratswillige Frauen gegeben hatte, denen er aus dem Weg gegangen war. Aber er war zu sehr von der Vernunft geleitet, seine Entscheidung für sie grenzte an Kaltblütigkeit und hatte etwas Demütigendes an sich.
    Aber warum demütigend? Es war ja nicht so, dass sie ihn liebte.
    In der Zeit, als sie sich noch mit Christas Bruder traf – er hieß Gary Lamb –, geschah es, dass sie zufällig Heather begegnete, auf einer Straße im Zentrum von Vancouver. Juliet und Gary waren gerade aus einem Kino gekommen, wo sie den Film gesehen hatten, der am späten Nachmittag lief, und sie redeten darüber, wohin sie essen gehen wollten. Es war ein warmer Sommerabend, der Himmel war noch hell.
    Eine Frau löste sich aus einer Gruppe auf dem Bürgersteig. Sie ging direkt auf Juliet zu. Eine schlanke Frau, vielleicht Ende dreißig. Modebewusst, mit hellen Strähnchen im dunklen Haar.
    »Mrs. Porteous. Mrs. Porteous.«
    Juliet erkannte sie an der Stimme, am Gesicht hätte sie sie nie erkannt. Heather.
    »Das ist ja nicht zu glauben«, sagte Heather. »Ich

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