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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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weiterhin auf ein Wort von Penelope, aber nicht sehnlich oder gar inständig. Sie hofft, wie Menschen wider besseres Wissen hoffen, auf einen unverdienten Glücksfall, auf spontanen Straferlass, auf derlei Dinge.

Leidenschaft
    Vor nicht allzu langer Zeit begab Grace sich auf die Suche nach dem Sommerhaus der Travers im Ottawa Valley. Sie war seit vielen Jahren nicht mehr in diesem Teil des Landes gewesen, und natürlich hatte sich einiges verändert. Der Highway 7 machte jetzt einen Bogen um Städte, die er früher durchquert hatte, und verlief gerade an Stellen, wo früher, wie sie sich erinnerte, Kurven gewesen waren. Und dieser Teil des Kanadischen Schildes beherbergt viele kleine Seen, für deren Namen auf den üblichen Landkarten kein Platz ist. Auch als sie den Little Sabot Lake geortet hatte oder zumindest der Meinung war, dass er das sein musste, schienen von der Landstraße zu viele Straßen hinzuführen, und als sie sich dann für eine dieser Straßen entschieden hatte, schienen zu viele asphaltierte Straßen sie zu kreuzen, alle mit Namen, an die sie sich nicht erinnern konnte. Als sie vor über vierzig Jahren hier gewesen war, hatte es überhaupt noch keine Straßennamen gegeben. Und auch keine Asphaltierung. Es hatte nur den einen Weg gegeben, der zum See führte, und den anderen, der recht willkürlich am Ufer entlang verlief.
    Jetzt befand sich dort eine Ortschaft. Oder ein Vorort, vielleicht konnte man es so nennen, denn sie entdeckte weder ein Postamt noch die bescheidenste Einkaufsmöglichkeit. Die Ansiedlung erstreckte sich vier oder fünf Querstraßen tief am See entlang, mit kleinen Häusern nah beieinander auf kleinen Grundstücken. Einige davon waren zweifellos Ferienhäuser – die Fenster schon mit Brettern vernagelt, wie es für den Winter üblich war. Aber viele andere wiesen alle Anzeichen ständiger Bewohnung auf – bewohnt, in vielen Fällen, von Leuten, die ihre Grundstücke mit Plastikspielgeräten, Gartengrills, Heimtrainern und Motorrädern vollgestellt hatten, auch mit Campingtischen, um die einige von ihnen saßen und an diesem immer noch warmen Septembertag zu Mittag aßen oder Bier tranken. Bewohnt auch von anderen, weniger sichtbaren Leuten – Studenten vielleicht oder alt gewordenen, allein lebenden Hippies –, die sich anstelle von Vorhängen Fahnen oder Alufolie in die Fenster getan hatten. Alles kleine, meistens propere, billige Häuser, einige darauf eingerichtet, dem Winter zu widerstehen, andere nicht.
    Grace hätte sich zur Umkehr entschlossen, wenn sie nicht das achteckige Haus mit dem Schnitzwerk auf dem Dachgesims und mit den Türen in jeder zweiten Wand erblickt hätte. Das Haus der Woods. In ihrer Erinnerung hatte es immer acht Türen gehabt, aber allem Anschein nach waren es nur vier. Sie hatte das Haus nie betreten, um zu sehen, wie es, falls überhaupt, in Zimmer aufgeteilt war. Sie glaubte auch nicht, dass jemand von der Familie Travers es je betreten hatte. Damals war das Haus von hohen Hecken umgeben und von den blinkenden Pappeln, in denen immer der Wind vom See rauschte. Mr. und Mrs. Woods waren alt – so alt wie Grace jetzt – und hatten offenbar nie Besuch von Freunden oder Kindern bekommen. Ihr eigentümliches, originelles Haus wirkte jetzt verirrt, fehl am Platz. Nachbarn mit ihren Ghettoblastern und ihren manchmal ausgeweideten Autos, mit ihrem Spielzeug und ihrer Wäsche umzingelten es auf allen Seiten.
    Mit dem Haus der Travers war es das Gleiche, als sie es, der Straße folgend, etwa eine viertel Meile weiter entdeckte. Die Straße führte jetzt daran vorbei, statt da zu enden, und die Häuser auf beiden Seiten standen wenig mehr als einen Meter entfernt von der breiten, ringsum laufenden Veranda.
    Es war das erste Haus dieser Bauweise gewesen, das Grace je gesehen hatte – eingeschossig, mit einem Dach, das sich ohne Unterbrechung auf allen Seiten bis über die Veranda erstreckte. Später hatte sie viele dieser Art gesehen, in Australien. Ein Stil, bei dem man an heiße Sommer denken musste.
    Damals konnte man von der Veranda über das staubige Ende der Auffahrt rennen, weiter auf einem Trampelpfad durch ein sandiges Stück Land mit Unkraut und wilden Erdbeeren, das auch zum Grundstück der Travers gehörte, und dann in den See springen – nein, nicht springen, waten. Jetzt würde man den See kaum sehen können, wegen des massiven Hauses – eines der wenigen normalen Vorstadthäuser hier, mit einer Garage für zwei Autos –, das genau

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