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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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bin für drei Tage hier, und ich fahre morgen wieder ab. Mein Mann ist zu einer Konferenz hier. Ich habe schon gedacht, ich kenne hier kaum noch jemanden, und dann drehe ich mich um und sehe Sie.«
    Juliet fragte sie, wo sie jetzt lebte, und sie sagte, Connecticut.
    »Und gerade vor drei Wochen habe ich Josh besucht – erinnern Sie sich noch an meinen Bruder Josh? –, also ich habe meinen Bruder Josh und seine Familie in Edmonton besucht, und ich bin Penelope begegnet. Einfach so, mitten auf der Straße. Nein – es war im Einkaufszentrum, in diesem gigantischen Einkaufszentrum, das sie da haben. Sie hatte zwei von ihren Kindern dabei, sie hatte sie mitgenommen und wollte Uniformen besorgen für die Schule, auf die sie jetzt gehen. Die Jungen. Wir waren beide völlig baff. Ich habe sie anfangs gar nicht erkannt, aber sie hat mich erkannt. Sie war natürlich mit dem Flugzeug gekommen. Von dem Ort oben im Norden. Aber sie sagt, es ist da ganz zivil. Und sie hat gesagt, dass Sie immer noch hier wohnen. Aber ich übernachte bei diesen Leuten – Freunden von meinem Mann –, und ich hatte wirklich noch keine Zeit, Sie anzurufen …«
    Juliet machte eine Geste, um zu sagen, dass dafür natürlich keine Zeit war und sie auch nicht erwartet hatte, angerufen zu werden.
    Sie fragte, wie viele Kinder Heather habe.
    »Drei. Alles Ungeheuer. Ich hoffe, sie beeilen sich mit dem Großwerden. Aber mein Leben ist ein Picknick im Vergleich zu Penelopes.
Fünf

    »Ja.«
    »Ich muss los, wir wollen uns diesen Film ansehen. Dabei weiß ich gar nichts darüber und mag französische Filme eigentlich nicht. Aber es war großartig, Sie zu treffen. Meine Eltern sind nach White Rock gezogen. Sie haben sich immer Ihre Sendungen angesehen. Sie sagen, Sie sind nicht mehr im Fernsehen, hatten Sie die Nase voll?«
    »So etwas Ähnliches.«
    »Komme schon, komme schon.« Sie umarmte und küsste Juliet, wie es jetzt alle taten, und eilte zu ihren Freunden.
    *
    So. Penelope wohnte also nicht in Edmonton – sie war
von oben im Norden
nach Edmonton gekommen. Mit dem Flugzeug. Das bedeutete, sie musste in Whitehorse oder in Yellowknife wohnen. Was gab es da sonst noch, das sie als
ganz zivil
beschreiben konnte? Vielleicht meinte sie es ironisch und nahm Heather ein bisschen auf den Arm, als sie es sagte.
    Sie hatte fünf Kinder, und mindestens zwei davon waren Jungen. Sie wurden mit Schuluniformen ausgestattet. Das bedeutete eine Privatschule. Das bedeutete Geld.
    Heather hatte sie anfangs nicht erkannt. Bedeutete das, dass sie gealtert war? Dass sie nach fünf Schwangerschaften aus dem Leim gegangen war, dass sie nicht auf sich geachtet hatte? So wie Heather. So wie Juliet, bis zu einem gewissen Grade. Dass sie eine von den Frauen war, in deren Augen das ganze Konzept solcher Anstrengungen lächerlich war, ein Eingeständnis von Unsicherheit? Oder einfach nur etwas, wofür sie keine Zeit hatte – weit außerhalb ihres Gesichtskreises.
    Juliet hatte sich immer vorgestellt, dass Penelope sich Leuten angeschlossen hatte, die Weltabgewandtheit predigten, dass sie eine Mystikerin geworden war und ihr Leben mit Kontemplation verbrachte. Oder aber dass sie – ganz das Gegenteil, aber immer noch absolut einfach und spartanisch – ihren Lebensunterhalt auf rauhe und riskante Weise verdiente, vielleicht mit einem Ehemann, vielleicht auch mit stämmigen kleinen Kindern auf Fischfang ging, in den kalten Gewässern der Inside Passage vor der Küste von British Columbia.
    Nichts von alledem. Sie führte das Leben einer wohlhabenden Hausfrau und Mutter. Vielleicht mit einem Arzt verheiratet oder mit einem jener Verwaltungsbeamten, die in den nördlichen Teilen des Landes damit beschäftigt waren, ihre Machtbefugnisse nach und nach, vorsichtig, aber unter lauten Trompetenstößen, an die eingeborene Bevölkerung abzutreten. Falls Penelope ihr je wiederbegegnete, konnten sie vielleicht darüber lachen, wie sehr Juliet sich geirrt hatte. Wenn sie von ihrem jeweiligen Zusammentreffen mit Heather berichteten, wie verrückt das war, mussten sie bestimmt lachen.
    Nein. Nein. In Wirklichkeit hatte sie im Zusammenhang mit Penelope sicherlich schon viel zu viel gelacht. Viel zu viel war ein Witz gewesen. Ebenso, wie viel zu viel – ganz Persönliches, Liebesaffären, die vielleicht nur sexueller Befriedigung dienten – eine Tragödie gewesen war. Sie hatte es an mütterlicher Scheu und Diskretion und Selbstbeherrschung fehlen lassen.
    Penelope hatte gesagt, dass

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