Tricks
mehr treffen. Aber er holte sie ab, wenn sie mit der Arbeit fertig war, gegen elf Uhr abends, und dann machten sie eine Ausfahrt, hielten auf eine Eiscreme oder einen Hamburger – Maury achtete sorgfältig darauf, mit ihr nicht in eine Bar zu gehen, da sie noch nicht einundzwanzig war – und parkten dann irgendwo.
Graces Erinnerungen an diese Parkplatzsitzungen – die bis ein oder zwei Uhr morgens dauern konnten – waren wesentlich verschwommener als ihre Erinnerungen daran, mit den Travers am Esstisch zu sitzen oder – wenn alle schließlich aufstanden und den Kaffee oder ein anderes Getränk nahmen – auf dem gelbbraunen Ledersofa, den Schaukelstühlen, den gepolsterten Korbstühlen am anderen Ende des Zimmers zu sitzen. (Es gab kein Theater um den Abwasch und den Küchenputz – eine Frau, die Mrs. Travers »meine Freundin, die famose Mrs. Amos« nannte, kam am nächsten Morgen.)
Maury packte sich immer Kissen auf den Teppich und saß dort. Gretchen, die zum Abendessen nie etwas anderes trug als Jeans oder Armeehosen, saß meistens mit übergeschlagenen Beinen in einem breiten Sessel. Beide, Gretchen und Maury, waren groß und breitschultrig, mit einem Teil der Schönheit ihrer Mutter – ihrem lockigen, karamellfarbenen Haar und ihren warmen haselnussbraunen Augen. Im Falle von Maury sogar ein Grübchen.
Süß
, nannten die anderen Kellnerinnen Maury. Sie pfiffen leise.
Goldig
. Mrs. Travers jedoch war kaum anderthalb Meter groß, und unter ihren hellen Hängekleidern wirkte sie nicht fettleibig, sondern stämmig und drall, wie ein Kind, das noch nicht in die Höhe geschossen war. Und die Leuchtkraft, die Lebhaftigkeit ihrer Augen, die Fröhlichkeit, die sie immer verbreitete, waren unnachahmlich und unvererbbar. Ganz wie das rauhe Rot ihrer Wangen, das fast wie ein Hautausschlag aussah und wahrscheinlich darauf zurückzuführen war, dass sie bei jedem Wetter hinausging, ohne auf ihren Teint Rücksicht zu nehmen. Wie ihre Figur, wie ihre Hängekleider, bewies das ihre Unabhängigkeit.
Manchmal waren an diesen Sonntagabenden außer der Familie auch Gäste da. Ein Ehepaar, vielleicht auch eine Einzelperson, Leute, die meistens im Alter von Mr. und Mrs. Travers waren und ihnen meistens darin ähnelten, dass die Frauen lebhaft und witzig waren und die Männer stiller, langsamer, toleranter. Es wurden amüsante Geschichten erzählt, in denen der Erzähler oft selbst Gegenstand des Witzes war. (Grace ist inzwischen so lange eine unterhaltsame Gesprächspartnerin gewesen, dass sie sich manchmal vor sich selbst ekelt, und es fällt ihr schwer, sich daran zu erinnern, wie neu diese abendlichen Gespräche damals für sie waren. Da, wo sie herkam, bestand eine lebhafte Unterhaltung überwiegend aus unanständigen Witzen, die ihre Tante und ihr Onkel natürlich missbilligten. Wenn sie, was selten vorkam, Besuch hatten, gab es Lobsprüche und Entschuldigungen für das Essen, Diskussionen über das Wetter und den inbrünstigen Wunsch, die Mahlzeit möge so bald wie möglich beendet sein.)
Nach dem Essen machte Mr. Travers, wenn der Abend kühl genug war, im Kamin ein Feuer an. Sie spielten etwas, das Mrs. Travers »schwachsinnige Wortspiele« nannte, für das man aber halbwegs intelligent sein musste, selbst wenn man sich unsinnige Definitionen ausdachte. Und dabei konnte es geschehen, dass jemand, der am Esstisch recht still gewesen war, plötzlich zu glänzen begann. An den Haaren herbeigezogene Argumente konnten vorgebracht werden, um völlig absurde Behauptungen zu untermauern. Gretchens Mann Wat tat das, und nach einem Weilchen auch Grace, sehr zu Mrs. Travers' und Maurys Freude (wobei Maury zur Belustigung aller außer Grace ausrief: »Seht ihr? Ich hab's euch ja gesagt. Sie ist schlau.«). Und es war Mrs. Travers selbst, die den Anstoß dazu gab, Wörter mit hanebüchenen Verteidigungen zu erfinden, um sicherzustellen, dass das Spiel nicht zu ernst oder irgendein Mitspieler zu befangen wurde.
Ein einziges Mal tauchte das Problem auf, dass jemand mit dem Spiel nicht glücklich war, und zwar, als Mavis, die mit Mrs. Travers' Sohn Neil verheiratet war, zum Essen kam. Mavis und ihre beiden Kinder hielten sich ganz in der Nähe auf, im Haus ihrer Eltern weiter unten am See. An jenem Abend war außer Grace nur die Familie versammelt, da von Mavis und Neil erwartet wurde, dass sie ihre kleinen Kinder mitbrachten. Aber Mavis kam allein – Neil war Arzt und hatte an diesem Wochenende kurzfristig in Ottawa
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