Tricks
ob Sie Lust hätten, irgendwann mit mir auszugehen?«
Grace blickte kaum vom Verteilen der silbernen Bestecke auf. Sie fragte: »Ist das eine Mutprobe?« Denn seine Stimme war hoch und unsicher, und er stand steif da, als zwinge er sich zu etwas. Und es war bekannt, dass manchmal die jungen Männer aus den Sommerhäusern miteinander Wetten abschlossen, wer es wagen würde, eine Kellnerin um ein Stelldichein zu bitten. Es war nicht nur ein Witz – falls sie eine Zusage hatten, erschienen sie wirklich, obwohl sie manchmal nur parken wollten, ohne das Mädchen ins Kino einzuladen oder auch nur auf einen Kaffee. Deshalb galt es für ein Mädchen als beschämend, als arm dran, sich darauf einzulassen.
»Was?«, sagte er gequält, und da hielt Grace doch inne und sah ihn an. Es kam ihr vor, als sähe sie in diesem Augenblick sein ganzes Wesen, den wahren Maury. Verängstigt, ungestüm, unschuldig, entschlossen.
»Okay«, sagte sie rasch. Möglicherweise meinte sie damit: okay, beruhige dich, ich weiß, es ist keine Mutprobe, ich weiß, du würdest so was nicht tun. Oder: okay, ich gehe mit dir aus. Sie wusste es selbst nicht genau. Aber er fasste es als Einwilligung auf und vereinbarte sofort – ohne die Stimme zu senken oder die Blicke zu bemerken, die er auf sich zog –, dass er sie am nächsten Abend nach der Arbeit abholen werde.
Er ging wirklich mit ihr ins Kino. Sie sahen
Vater der Braut
. Grace fand den Film unausstehlich. Sie fand Mädchen wie Elizabeth Taylor in dem Film unausstehlich, verwöhnte reiche Mädchen, denen nichts anderes abverlangt wurde, als dem Vater um den Bart zu gehen und Ansprüche zu stellen. Maury sagte, es sei doch eigentlich nur eine Komödie, aber sie sagte, das sei nicht das Entscheidende. Sie konnte nicht verdeutlichen, was das Entscheidende war. Jeder würde denken, der entscheidende Unterschied war, dass sie als Kellnerin arbeitete und zu arm war, um aufs College zu gehen, und wenn sie etwas wie eine derartige Hochzeit haben wollte, dann musste sie jahrelang dafür sparen und es selbst bezahlen. (Maury dachte das jedenfalls und zollte ihr dafür Achtung, ja fast Ehrerbietung.)
Sie konnte nicht erklären oder recht verstehen, dass es nicht einfach Eifersucht war, was sie empfand, sondern Wut. Und das nicht, weil sie nicht so einkaufen oder sich nicht so kleiden konnte. Sondern, weil Mädchen angeblich so waren. Weil Männer – nicht nur Männer, überhaupt alle – fanden, so sollten sie sein. Schön, behütet, verwöhnt, egoistisch und strohdumm. So sollte das Mädchen sein, in das man sich verliebte. Dann wurde sie irgendwann Mutter und hing mit Affenliebe an ihren Kindern. Nicht mehr egoistisch, aber immer noch strohdumm. Bis ans Ende ihrer Tage.
Sie ereiferte sich darüber, während sie neben einem Jungen saß, der sich gerade in sie verliebt hatte, weil er sofort an die Lauterkeit und Einzigartigkeit ihres Geistes und ihrer Seele geglaubt hatte und ihre Armut als romantischen Glanzlack darauf gesehen hatte. (Er hätte ihre Armut nicht nur an der Arbeit, die sie tat, erkannt, sondern auch an ihrem starken Ottawa-Valley-Akzent, dessen sie sich damals noch nicht bewusst war.)
Er respektierte ihre Gefühle gegenüber dem Film. Und nachdem er sich ihre zornigen Erklärungsbemühungen angehört hatte, bemühte er sich seinerseits, ihr etwas mitzuteilen. Er sagte, er sehe jetzt ein, dass es nicht um etwas so Einfaches, so
Weibliches
wie Eifersucht gehe. Es gehe darum, dass sie Oberflächlichkeit nicht ertragen könne, nicht damit zufrieden sei, so zu sein wie die meisten Mädchen. Sie sei etwas Besonderes.
Grace vergaß nie, was sie an diesem Abend angehabt hatte. Einen dunkelblauen Tellerrock, eine weiße Bluse, durch deren Lochstickerei ihr Brustansatz zu sehen war, und einen breiten, rosaroten Stretchgürtel. Es gab zweifellos eine Diskrepanz zwischen der Art, wie sie sich präsentierte, und der Art, wie sie eingeschätzt werden wollte. Aber nichts an ihr war niedlich oder süß oder elegant im Stil der Zeit. Eher ein wenig wild, zigeunerhaft, mit den billigsten silberfarbenen Armreifen und den langen, unbändigen, krausen schwarzen Haaren, die sie in einem Haarnetz tragen musste, wenn sie bediente.
Etwas Besonderes.
Er hatte seiner Mutter von ihr erzählt, und seine Mutter hatte gesagt: »Du musst deine Grace mal zum Abendessen mitbringen.«
*
Alles war für sie neu, alles von Beginn an wundervoll. Sie verliebte sich sogar in Mrs. Travers, ganz so, wie Maury sich in
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