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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hat was rausbekommen. Den Namen von dem Ehepaar, das es genommen hat.«
    Lauren schlängelte sich vom Bett herunter. Stolpernd, fast über die Decke fallend, stellte sie ihre Tasse auf die Kommode.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. Sie schaute aus dem kleinen Fenster. »Es schneit.«
    »Ach ja? Sonst noch was Neues? Willst du nicht wissen, wie's ausgegangen ist?«
    Lauren zog sich die Stiefel an und gab sich Mühe, es beiläufig zu tun, damit es Delphine nicht auffiel.
    »Der Mann hat angeblich für eine Zeitschrift gearbeitet, also ist sie hingegangen, und die haben ihr gesagt, er wäre nicht mehr da, aber sie haben ihr gesagt, wohin er gegangen ist. Sie hat nicht gewusst, welchen Namen sie ihrem Mädchen gegeben haben, aber das hat sie auch noch rausgekriegt. Man weiß nie, was man alles rauskriegt, ehe man's nicht probiert. Willst du etwa vor mir wegrennen?«
    »Ich muss gehen. Mir ist übel. Ich bin erkältet.«
    Lauren riss an ihrer Jacke, die Delphine auf den hohen Haken an ihrer Tür gehängt hatte. Als sie sie nicht gleich herunterbekam, füllten ihre Augen sich mit Tränen.
    »Ich kenne diese Joyce nicht mal«, sagte sie unglücklich.
    Delphine setzte die Füße auf den Boden, stand langsam vom Bett auf und stellte ihre Tasse auf die Kommode.
    »Wenn dir übel ist, musst du dich hinlegen. Du hast wahrscheinlich zu hastig getrunken.«
    »Ich will nur meine Jacke.«
    Delphine nahm die Jacke vom Haken, hielt sie aber zu hoch. Als Lauren danach griff, ließ sie nicht los.
    »Was hast du denn?«, fragte sie. »Du weinst doch nicht etwa? Ich hab dich gar nicht für eine Heulsuse gehalten. Schon gut. Schon gut. Da hast du sie. Ich hab dich doch nur aufgezogen.«
    Lauren fuhr in die Ärmel, wusste aber, dass sie den Reißverschluss nicht zukriegen würde. Sie steckte die Hände in die Taschen.
    »Wieder gut?«, fragte Delphine. »Ist jetzt wieder gut? Bist du noch meine Freundin?«
    »Danke für den Kakao.«
    »Lauf nicht zu schnell, dein Magen muss sich beruhigen.«
    Delphine beugte sich herunter. Lauren wich zurück, aus Angst, sie könnte die weißen Haare, die seidigen, flatterigen Vorhänge aus Haaren, in den Mund bekommen.
    Wenn man alt genug für weiße Haare war, dann sollte man sie nicht so lang wachsen lassen.
    »Ich weiß, du kannst ein Geheimnis bewahren, ich weiß, du hältst unsere Treffen und unsere Gespräche und alles geheim. Später wirst du's verstehen. Du bist ein großartiges kleines Mädchen. Da.«
    Sie küsste Lauren auf den Kopf.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie.
    *
    Große Schneeflocken fielen gerade herunter und bildeten auf den Bürgersteigen eine flaumige Schicht, da, wo Leute gingen, schmolzen sie zu schwarzen Fußspuren, die sie bald wieder auffüllten. Die Autos fuhren langsam, mit verschwommenen gelben Scheinwerfern. Lauren blickte sich hin und wieder um, weil sie sehen wollte, ob ihr jemand folgte. Wegen des immer dichter fallenden Schnees und des schwindenden Tageslichts konnte sie nicht gut sehen, hatte aber den Eindruck, dass ihr niemand folgte.
    Das Gefühl in ihrem Magen war das einer Schwellung und zugleich von Leere. Sie meinte, es loswerden zu können, indem sie einfach etwas Richtiges aß, und als sie nach Hause kam, ging sie deshalb schnurstracks zum Küchenschrank und schüttete sich die gewohnten Cornflakes in eine Schale. Es war kein Ahornsirup mehr da, aber sie fand Maissirup. Sie stand in der kalten Küche, aß, ohne auch nur die Stiefel und die Jacke ausgezogen zu haben, und schaute in den frisch geweißten Garten hinaus. Schnee machte die Dinge sichtbar, sogar bei brennender Küchenlampe. Sie sah ihr Spiegelbild vor dem Hintergrund des verschneiten Gartens, der dunklen Felsen mit weißen Kappen und der Nadelbaumzweige, die sich schon unter ihrer weißen Last senkten.
    Kaum hatte sie den letzten Löffel voll in den Mund gesteckt, da musste sie ins Badezimmer rennen und alles wieder ausspucken – Cornflakes, noch kaum verändert, Sirupschleim, glatte Fäden aus blassem Kakao.
    *
    Als ihre Eltern nach Hause kamen, lag sie auf dem Sofa, immer noch mit den Stiefeln und der Jacke an, und sah fern.
    Eileen zog ihr die Straßensachen aus, brachte ihr eine Decke und maß ihre Temperatur – die normal war –, dann tastete sie ihren Bauch ab, um festzustellen, ob er hart war, und ließ Lauren das rechte Knie bis zur Brust hochziehen, um festzustellen, ob ihr das Schmerzen in der rechten Seite verursachte. Eileen hatte immer Angst vor einer Blinddarmentzündung,

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