Tricks
weißen Tüchern vollgeladenen Körbe über den kleinen, kiesbedeckten Hof hinter dem Hotel in die leere steinerne Scheune zu tragen. Ein Betonfußboden war eingezogen worden, aber Gerüche drangen immer noch von der Erde darunter durch oder vielleicht auch aus dem Bruchsteinmauerwerk. Feuchter Mist, Pferdefell, strenge Urin- und Lederdüfte. Der Raum war leer bis auf die Wäscheleinen und ein paar zerbrochene Stühle und Kommoden. Ihre Schritte hallten.
»Ruf mal deinen Namen«, sagte Delphine.
Lauren rief: »Del-fii-iin.«
»
Deinen
Namen. Was soll das?«
»Der ist aber besser fürs Echo«, sagte Lauren und rief wieder: »Del-fii-iin.«
»Ich mag meinen Namen nicht«, sagte Delphine. »Niemand mag seinen eigenen Namen.«
»Meinen mag ich aber.«
»Lauren ist hübsch. Das ist ein hübscher Name. Sie haben dir einen hübschen Namen ausgesucht.«
Delphine war hinter einem Laken verschwunden, das sie mit Klammern an der Wäscheleine aufhängte. Lauren ging pfeifend umher.
»Gesang hört sich hier drin richtig gut an«, sagte Delphine. »Sing dein Lieblingslied.«
Lauren wollte kein Lieblingslied einfallen. Das schien Delphine in Erstaunen zu versetzen, ebenso wie es sie erstaunt hatte, dass Lauren keine Witze kannte.
»Ich habe viele«, sagte sie. Und fing an zu singen.
»
Moon River, wider than a mile
…«
Das war ein Lied, das Harry manchmal sang, wobei er sich immer über das Lied oder sich selbst lustig machte. Delphines Art, es zu singen, war ganz anders. Lauren spürte, wie die ruhige Trauer in Delphines Stimme sie zu den wallenden weißen Laken zog. Die Laken selbst wirkten, als wollten sie sich um sie herum – nein, um Delphine und sie herum – auflösen zu einem Gefühl großer Zärtlichkeit. Delphines Gesang war wie weit ausgebreitete Arme, in die man sich stürzen konnte. Gleichzeitig löste dessen völlige Ungehemmtheit einen Schauder in Laurens Bauch aus, eine ferne Drohung von Übelkeit.
»Waiting round the bend
My huckleberry friend …«
Lauren unterbrach das, indem sie einen Stuhl ohne Sitz aufhob und mit seinen Beinen über den Boden scharrte.
*
»Ich wollte euch schon immer was fragen«, sagte Lauren entschlossen zu Harry und Eileen beim Abendessen. »Gibt es die geringste Chance, dass ich adoptiert worden bin?«
»Wie kommst du denn auf
die
Idee?«, fragte Eileen.
Harry hörte auf zu essen, schaute Lauren mit hochgezogenen Augenbrauen warnend an und fing dann an zu witzeln. »Wenn wir ein Kind hätten adoptieren wollen«, sagte er, »meinst du, wir hätten uns eins ausgesucht, das so viele neugierige Fragen stellt?«
Eileen stand auf und öffnete den Reißverschluss an ihrem Rock. Der Rock fiel zu Boden, und sie rollte ihre Strumpfhose und ihren Slip herunter.
»Schau her«, sagte sie. »Das müsste es dir beweisen.«
Ihr Bauch, der flach aussah, wenn sie angezogen war, sah jetzt fülliger und etwas schlaff aus. Die Haut, bis zum Bikinirand immer noch ein wenig gebräunt, wurde von leichenweißen Streifen durchzogen, die im Küchenlicht glänzten. Lauren hatte sie schon früher gesehen, aber sich nichts dabei gedacht – sie schienen einfach zu Eileens Körper zu gehören, wie die beiden Leberflecke auf ihrem Schlüsselbein.
»Das kommt von der Überdehnung der Haut«, sagte Eileen. »Ich habe dich weit vorn getragen.« Sie hielt die Hand unmöglich weit vor ihren Körper. »Bist du jetzt überzeugt?«
Harry legte den Kopf an Eileen und liebkoste ihren nackten Bauch. Dann richtete er sich auf und wandte sich an Lauren.
»Falls du dich wunderst, warum wir nicht noch mehr Kinder bekommen haben, dann lautet die Antwort, dass du das einzige Kind bist, das wir brauchen. Du bist klug und hübsch und hast Humor. Wie konnten wir sicher sein, dass das nächste genauso gut wird? Außerdem sind wir nicht die typische Durchschnittsfamilie. Es liegt uns umherzuziehen. Etwas Neues auszuprobieren, flexibel zu sein. Wir haben ein Kind, das vollkommen und anpassungsfähig ist. Kein Grund also, den Bogen zu überspannen.«
Sein Gesicht, das Eileen nicht sehen konnte, zeigte Lauren einen Ausdruck, der weitaus ernster war als seine Worte. Eine anhaltende Warnung, gemischt mit Enttäuschung und Überraschung.
Wenn Eileen nicht dagewesen wäre, hätte Lauren ihm Fragen gestellt. Was, wenn sie beide Babys verloren hatten und nicht nur das eine? Was, wenn sie selbst nie in Eileen gewesen war und gar nicht für diese Streifen auf ihrem Bauch verantwortlich war? Wie konnte sie sicher sein,
Weitere Kostenlose Bücher