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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nicht ein, dass das notwendig ist«, sagte Harry.
    »Und gib ihr das«, sagte Eileen und steckte ihm den Umschlag in die Tasche. »Du brauchst nicht reinzuschauen, es ist bloß ihr blödes Geschenk. Und sag ihr, nie wieder solche Sachen, oder sie kriegt Ärger. Nie wieder. Nie.«
    *
    Lauren brauchte nicht wieder in die Schule zu gehen, jedenfalls nicht in dieser Stadt.
    Im Laufe des Nachmittags rief Eileen Harrys Schwester an – mit der Harry nicht mehr redete, wegen der kritischen Äußerungen ihres Ehemannes über seine, Harrys, Lebensweise –, und sie unterhielten sich über die Schule, die die Schwester besucht hatte, eine private Mädchenschule in Toronto. Weitere Telefonate folgten, ein Termin wurde vereinbart.
    »Aufs Geld kommt es nicht an«, sagte Eileen. »Harry hat genug Geld. Oder er kann es beschaffen.«
    »Es ist auch nicht nur, weil das passiert ist«, sagte sie. »Du verdienst es nicht, in dieser Scheißstadt aufwachsen zu müssen. Du verdienst es nicht, dass du dich am Ende wie ein Bauerntrampel anhörst. Ich habe schon lange daran gedacht. Ich hab's nur aufgeschoben, bis du ein bisschen älter bist.«
    Als Harry nach Hause kam, sagte er, das hänge doch gewiss davon ab, was Lauren wolle.
    »Willst du von zu Hause fort, Lauren? Ich dachte, es gefällt dir hier. Ich dachte, du hast Freundinnen.«
    »Freundinnen?«, sagte Eileen. »Sie hatte diese Frau.
Delphine
. Hast du Klartext mit ihr geredet? Hat sie's kapiert?«
    »Ja, hab ich«, sagte Harry. »Ja, hat sie.«
    »Hast du ihr das Bestechungsgeschenk zurückgegeben?«
    »Wenn du es so nennen willst. Ja.«
    »Keine Störungen mehr? Versteht sie das, keine Störungen mehr?«
    Harry stellte das Radio an, und während des Abendessens hörten sie die Nachrichten. Eileen machte eine Flasche Wein auf.
    Lauren kannte die Zeichen, und sie meinte vor sich zu sehen, was jetzt durchgemacht werden musste, welcher Preis für die wundersame Rettung bezahlt werden musste – nie wieder in die Schule oder zu dem Hotel gehen zu müssen, vielleicht überhaupt nicht mehr durch die Straßen laufen zu müssen, in den zwei Wochen bis zu den Weihnachtsferien nie mehr das Haus verlassen zu müssen.
    Wein konnte eines der Zeichen sein. Manchmal. Manchmal auch nicht. Aber wenn dann Harry die Ginflasche herausholte und sich ein halbes Whiskyglas voll eingoss und nichts als Eis hinzufügte – und bald nicht mal mehr Eis –, stand der Kurs fest. Alles konnte immer noch fröhlich sein, aber die Fröhlichkeit war messerscharf. Dann redete Harry mit Lauren, und Eileen redete mit Lauren, mehr als jeder von ihnen sonst mit ihr redete. Hin und wieder redeten sie auch miteinander, fast normal. Aber es war etwas Schonungsloses im Zimmer, das sich noch nicht in Worten ausgedrückt hatte. Lauren hoffte oder versuchte – genauer gesagt, sie versuchte immer zu hoffen –, dass die beiden es irgendwie nicht bis zum Streit kommen lassen würden. Und sie hatte immer geglaubt – glaubte es noch –, dass sie nicht die Einzige war, die das hoffte. Die beiden hofften das auch. Einesteils taten sie es. Aber andernteils waren sie begierig auf das, was kommen würde. Und es gelang ihnen nie, diese Begierde zu bezwingen. Es war noch kein einziges Mal vorgekommen, dass dieses Gefühl im Raum war, dieses Umschlagen der Luft, diese erschreckende Helligkeit, in der alle Formen, alle Möbel und Gegenstände, schärfer und zugleich fester aussahen – noch nie, und dass dann das Schlimmste nicht folgte.
    Lauren konnte dann nicht in ihrem Zimmer bleiben, musste dort sein, wo die beiden waren, musste unter Protest und Tränen auf sie zu stürzen, bis der eine oder die andere sie aufhob und zurück in ihr Zimmer trug und sagte: »Schon gut, schon gut, hör auf, uns zu nerven, hör auf damit, wir müssen auch mal miteinander reden können.« »Reden« bedeutete, im Haus herumzumarschieren und flammende Reden voller Vorwürfe zu halten und empört dagegen anzuschreien, bis sie so weit waren, dass sie sich mit Aschenbechern, Flaschen und Geschirr bewerfen mussten. Einmal rannte Eileen hinaus und warf sich auf den Rasen, riss Grasbüschel und Erdklumpen heraus, während Harry von der Tür aus fauchte: »Ja, so ist's richtig, biete den Nachbarn was.« Ein andermal riegelte Harry sich im Badezimmer ein und schrie: »Es gibt nur einen Ausweg aus dieser Hölle.« Beide drohten mit der Benutzung von Tabletten und Rasierklingen.
    »O Gott, lass uns das nicht tun«, hatte Eileen einmal gesagt. »Bitte, bitte,

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