Tricks
auf. Aus dem sehr guten Grund, dass ich's schon zu oft erlebt habe, alles packen und weiterziehen zu müssen. Sobald man sich niederlässt, passiert was und man muss weiterziehen. Ich spare aber. Die Leute wären überrascht, wenn sie wüssten, was ich auf der Bank habe.«
Sie gab Lauren ihre Tasse und ließ sich vorsichtig am Kopfende des Bettes nieder, mit dem Kopfkissen im Rücken, ihre bestrumpften Füße ruhten auf dem Laken. Lauren hatte eine gewisse Abneigung gegen Füße in Nylonstrümpfen. Nicht gegen bloße Füße oder Füße in Socken oder Füße in Schuhen oder Füße in Nylonstrümpfen mit Schuhen darüber, nur gegen offen hergezeigte Füße in Nylonstrümpfen, besonders, wenn sie anderen Stoff berührten. Das war nichts weiter als ein ganz persönliches, eigentümliches Ekelgefühl – ebenso wie ihre Abneigung gegen Pilze oder gegen Cornflakes, die in Milch schwappten.
»Als du heute Nachmittag reingekommen bist, da war ich gerade ganz traurig«, sagte Delphine. »Ich musste an ein Mädchen denken, das ich mal gekannt habe, und ich dachte, wenn ich wüsste, wo sie ist, würde ich ihr einen Brief schreiben. Joyce hieß sie. Ich musste daran denken, was ihr im Leben zugestoßen ist.«
Unter dem Gewicht von Delphines Körper gab die Matratze nach, sodass Lauren Schwierigkeiten hatte, nicht zu ihr hinüberzurutschen. Sie schämte sich wegen der Anstrengungen, die sie unternahm, um nicht mit diesem Körper in Berührung zu geraten, und bemühte sich deshalb, besonders höflich zu sein.
»Wann haben Sie sie gekannt?«, fragte sie. »Als Sie jung waren?«
Delphine lachte. »Ja. Als ich jung war. Sie war auch jung, und sie musste aus ihrem Haus raus und ist mit so einem Mann rumgezogen, und es hat sie erwischt. Weißt du, was ich damit meine?«
Lauren sagte: »Schwanger.«
»Stimmt. Also hat sie sich einfach treiben lassen, sie dachte, vielleicht geht's von alleine weg. Ha-ha. Wie 'ne Erkältung. Der Mann, mit dem sie zusammen war, hatte schon zwei Kinder von einer anderen Frau, mit der war er zwar nicht verheiratet, aber die war mehr oder weniger seine Frau, und er dachte immer wieder daran, zu ihr zurückzugehen. Aber bevor es dazu kam, ist er aufgeflogen. Und sie auch – Joyce auch –, weil sie Zeug für ihn rumgeschleppt hat. Sie hatte es in Tampax-Röhrchen gesteckt, weißt du, wie die aussehen? Weißt du, welches Zeug ich meine?«
»Ja«, sagte Lauren als Antwort auf beide Fragen. »Klar. Rauschgift.«
Delphine machte ein gurgelndes Geräusch, als sie ihren Kakao trank. »Das ist alles streng geheim, verstehst du?«
Nicht alle Klümpchen des Kakaopulvers hatten sich aufgelöst, aber Lauren mochte sie nicht mit dem Löffel zerdrücken, dem bestimmt noch der Geschmack von dem sogenannten Hustensaft anhaftete.
»Sie ist mit einer Bewährungsstrafe davongekommen, es war also gar nicht so schlecht, dass sie schwanger war, denn deswegen ist sie so leicht davongekommen. Und als Nächstes hat sie sich mit irgendwelchen Christen eingelassen, und die kannten einen Arzt und seine Frau, die kümmerten sich um Mädchen, die ein Kind bekamen, und haben dafür gesorgt, dass das Kind sofort adoptiert wurde. Das war nicht ganz sauber, denn die kriegten Geld für die Kinder, aber jedenfalls hat's ihr das Jugendamt vom Hals gehalten. Also hat sie ihr Kind gekriegt und es nicht mal zu Gesicht bekommen. Sie hat nur erfahren, dass es ein Mädchen war.«
Lauren sah sich nach einer Uhr um. Offenbar gab es keine. Delphines Armbanduhr steckte unter dem Ärmel ihres schwarzen Pullovers.
»Dann ist sie da weg, und ihr ist so einiges zugestoßen, und sie hat überhaupt nicht mehr an das Kind gedacht. Sie dachte, sie würde heiraten und dann Kinder kriegen. Na ja, dazu ist es nicht gekommen. Nicht, dass es ihr viel ausgemacht hätte, im Vergleich zu anderen, bei denen es auch nicht dazu gekommen ist. Sie hat sich sogar ein paar Mal deswegen operieren lassen. Weißt du, was das für Operationen sind?«
»Abtreibungen«, sagte Lauren. »Wie spät ist es?«
»Du bist aber nicht gerade ahnungslos«, sagte Delphine. »Ja, stimmt. Abtreibungen.« Sie zog den Ärmel hoch, um auf die Uhr zu schauen. »Noch nicht mal fünf. Ich wollte gerade erzählen, dass sie anfing, an das kleine Mädchen zu denken und sich Gedanken zu machen, was wohl aus ihm geworden war, also hat sie Nachforschungen angestellt. Und sie hat Glück gehabt und diese Leute aufgetrieben, diese Christen. Sie musste ein bisschen ungemütlich werden, aber sie
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