Tricks
fünfzehnmal klingeln, dann rannte sie aus dem Zeitungsbüro, ohne den Mantel anzuziehen, und fuhr nach Hause. Als sie die Tür verschlossen fand, hämmerte sie mit der Faust dagegen und rüttelte an der Klinke. Sie presste das Gesicht an das Mama-Bär-Fenster und rief Laurens Namen. Sie konnte den Fernseher hören. Sie rannte zur Hintertür und hämmerte wieder und rief.
Lauren hörte das natürlich alles, mit dem Kopf unter der Decke, aber sie brauchte eine Weile, bis sie erkannte, dass es Eileen war und nicht Delphine. Als ihr das klar wurde, schlich sie sich, die Decke hinter sich herziehend, in die Küche, immer noch mit dem Verdacht, die Stimme könnte ein Trick sein.
»Großer Gott, was ist denn mit dir los?«, sagte Eileen und schlang die Arme um sie. »Warum war die Tür abgeschlossen, warum bist du nicht ans Telefon gegangen, was treibst du denn da für ein Spiel?«
Lauren hielt ungefähr eine Viertelstunde lang stand, in der sie von Eileen abwechselnd umarmt und angeschrien wurde. Dann brach sie zusammen und erzählte alles. Es war eine große Erleichterung, doch selbst, während sie zitterte und weinte, spürte sie, dass etwas ganz Eigenes und Vielschichtiges um der Sicherheit und Geborgenheit willen verraten wurde. Die ganze Wahrheit ließ sich nicht sagen, weil sie selbst keine klare Vorstellung davon hatte. Sie konnte nicht erklären, was sie eigentlich gewollt hatte, und schon gar nicht, warum sie es dann überhaupt nicht mehr wollte.
Eileen rief Harry an und sagte ihm, dass er nach Hause kommen müsse. Zu Fuß, denn sie konnte ihn nicht abholen, konnte Lauren nicht allein lassen.
Sie ging die Haustür aufschließen und fand einen Briefumschlag, durch den Postschlitz eingesteckt, aber nicht abgestempelt, mit nichts darauf als dem Wort LAUREN .
»Hast du gehört, wie das durchgesteckt worden ist?«, fragte sie. »Hast du jemanden auf der Veranda gehört, wie zum Teufel konnte das passieren?«
Sie riss den Umschlag auf und zog die Goldkette mit Laurens Namen daran heraus.
»Das hab ich vergessen, dir zu erzählen«, sagte Lauren.
»Da ist ein Brief.«
»Lies ihn nicht«, rief Lauren.
»Nicht lesen. Ich will ihn nicht hören.«
»Sei nicht albern. Der beißt doch nicht. Sie schreibt nur, dass sie in der Schule angerufen hat, und du warst nicht da, also hat sie sich Gedanken gemacht, ob du krank bist, und hier ist ein Geschenk für dich, um dich aufzumuntern. Sie schreibt, sie hat es sowieso für dich gekauft, niemand hat es verloren. Was hat das zu bedeuten? Es sollte ein Geburtstagsgeschenk sein, wenn du im März elf wirst, aber sie möchte, dass du es jetzt bekommst. Wo hat sie die Idee her, dass dein Geburtstag im März ist? Dein Geburtstag ist im Juni.«
»Das weiß ich«, sagte Lauren, in dem müden, kindlichen, schmollenden Tonfall, auf den sie jetzt zurückgegriffen hatte.
»Siehst du?«, sagte Eileen. »Sie spinnt. Sie ist verrückt.«
»Sie wusste aber euren Namen. Sie wusste, wo ihr seid. Woher wusste sie das, wenn ihr mich nicht adoptiert habt?«
»Ich habe keine Ahnung, woher sie das wusste, aber sie irrt sich. Sie spinnt. Hör zu. Wir werden deine Geburtsurkunde heraussuchen. Du bist im Wellesley Hospital in Toronto geboren. Wir werden mit dir hinfahren, dann zeige ich dir genau den Raum …« Eileen sah noch einmal den Brief an und zerknüllte ihn in der Faust.
»Dieses Luder. In der Schule anzurufen«, sagte sie. »Zu unserem Haus zu kommen. So ein verrücktes Luder.«
»Versteck das Ding«, sagte Lauren und meinte die Kette. »Versteck es. Leg es weg.
Sofort
.«
Harry war nicht so aufgebracht wie Eileen.
»Sie kam mir völlig normal vor, als ich mit ihr geredet habe«, sagte er. »Zu mir hat sie nie was davon gesagt.«
»Natürlich nicht«, sagte Eileen. »Sie wollte an Lauren ran. Du musst hingehen und mit ihr reden. Oder ich tu's. Ich meine es ernst. Heute noch.«
Harry versprach es. »Ich werde ihr den Kopf zurechtsetzen«, sagte er. »Ganz bestimmt. Es wird keinen Ärger mehr geben. Wirklich schade.«
Eileen bereitete ein frühes Essen zu. Sie machte Hamburger mit viel Mayonnaise und Senf, so wie Harry und Lauren sie mochten. Lauren hatte ihren aufgegessen, bevor ihr bewusst wurde, dass es wahrscheinlich ein Fehler gewesen war, solchen Appetit zu zeigen.
»Geht's besser?«, fragte Harry. »Heute Nachmittag wieder zur Schule?«
»Ich bin immer noch erkältet.«
Eileen sagte: »Nein. Nicht wieder zur Schule. Und ich bleibe hier bei ihr.«
»Ich sehe absolut
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