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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gewesen«, sagte sie. »Wer ist es denn gewesen, wenn nicht ich?«
    »Ja, aber ich war nicht diejenige, die das wollte«, sagte Eileen.
    »Du warst aber auch nicht völlig dagegen«, sagte Harry.
    Lauren sagte: »Aufhören.«
    »Das ist genau das, was wir versprochen haben, nicht zu tun«, sagte Harry. »Haben wir nicht versprochen, das nicht zu tun? Und wir sollten uns bei Delphine entschuldigen.«
    Delphine hatte während dieses Gesprächs zu niemandem hochgesehen. Sie hatte ihren Stuhl nicht an den Tisch gezogen. Sie schien nicht zu merken, dass Harry ihren Namen nannte. Es war nicht nur die Niederlage, die sie reglos machte. Es war auch Halsstarrigkeit, die auf ihr lastete, sogar Abscheu, was Harry und Eileen nicht wahrnehmen konnten.
    »Lauren, ich habe heute Nachmittag mit Delphine geredet. Ich habe ihr von dem Baby erzählt. Es war ihr Baby. Ich habe dir nicht erzählt, dass das Baby adoptiert war, weil dann alles noch schlimmer ausgesehen hätte – dass wir erst ein Baby adoptieren und dann solchen Mist bauen. Fünf Jahre lang haben wir's probiert, und wir dachten schon, das wird nie was mit der Schwangerschaft, also haben wir es adoptiert. Aber ursprünglich war Delphine seine Mutter. Wir haben es Lauren genannt, und dann haben wir dich Lauren genannt – wahrscheinlich, weil das unser Lieblingsname war und auch, weil er uns das Gefühl gab, von vorn anzufangen. Und Delphine wollte über ihr Baby Bescheid wissen und hat herausbekommen, dass wir es genommen haben, und sie hat natürlich den Fehler gemacht zu denken, du wärst es. Sie ist hergekommen, um dich zu finden. Es ist alles sehr traurig. Als ich ihr die Wahrheit gesagt habe, wollte sie verständlicherweise einen Beweis, also habe ich sie gebeten, heute Abend herzukommen, und habe ihr die Urkunde gezeigt. Sie wollte dich nicht stehlen oder irgend so was, sich bloß mit dir anfreunden. Sie hat sich nur einsam gefühlt und war durcheinander.«
    Delphine riss den Reißverschluss ihrer Jacke auf, als brauche sie mehr Luft.
    »Und ich habe ihr gesagt, wir haben immer noch … wir sind nie dazu gekommen, oder es war eben nie der richtige Zeitpunkt …« Er deutete mit einer Handbewegung auf den Pappkarton, der ganz vorn auf dem Küchenschrank stand. »Also habe ich ihr den auch gezeigt.«
    »Also werden wir heute Abend«, sagte er, »wo nun alles offenliegt, als Familie losfahren und es tun. Und all das loswerden – das Leid und die Schuld. Delphine, Eileen und ich, und wir wollen, dass du mitkommst – bist du einverstanden? Geht's dir gut?«
    Lauren sagte. »Ich habe schon geschlafen. Ich bin erkältet.«
    »Tu lieber, was Harry sagt«, sagte Eileen.
    Delphine hielt den Blick immer noch gesenkt. Harry holte den Karton vom Küchenschrank und gab ihn ihr. »Vielleicht ist es am besten, wenn Sie ihn tragen«, sagte er. »Geht's Ihnen gut?«
    »Allen geht's gut«, sagte Eileen. »Gehn wir.«
    *
    Delphine stand reglos im Schnee, mit dem Karton in den Händen, deshalb sagte Eileen: »Soll ich?«, und nahm ihn ihr respektvoll ab. Sie machte ihn auf und wollte ihn Harry geben, überlegte es sich anders und hielt ihn Delphine hin. Delphine holte eine kleine Handvoll Asche heraus, nahm aber den Karton nicht, um ihn weiterzureichen. Eileen nahm eine Handvoll Asche und gab Harry den Karton. Als auch er etwas Asche hatte, wollte er Lauren den Karton aushändigen, aber Eileen sagte: »Nein. Sie muss nicht.«
    Lauren hatte die Hände schon in die Taschen gestopft.
    Es ging kein Wind, also fiel die Asche einfach dahin, wo Harry und Eileen und Delphine sie fallen ließen, in den Schnee.
    Eileen hörte sich heiser an. »Unser Vater, der du bist im Himmel …«
    Harry sagte mit klarer Stimme: »Dies ist Lauren, die unser Kind war und die wir alle geliebt haben – wir wollen das alle zusammen sagen.« Er sah Delphine und dann Eileen an, und sie sagten zusammen: »Dies ist Lauren«, die Stimme von Delphine war sehr leise und undeutlich, die von Eileen voll angestrengter Aufrichtigkeit und die von Harry sonor, die Gemeinde leitend, tiefernst.
    »Und wir verabschieden uns von ihr und übergeben sie dem Schnee …«
    Am Schluss sagte Eileen hastig: »Vergib uns unsere Sünden. Unsere Verfehlungen. Vergib uns unsere Verfehlungen.«
    Delphine stieg für die Rückfahrt in die Stadt mit Lauren zusammen hinten ein. Harry hatte ihr die Tür für den Beifahrersitz aufgehalten, aber sie krabbelte an ihm vorbei nach hinten. Gab den wichtigeren Sitzplatz frei, jetzt, wo sie nicht

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