Tricontium (German Edition)
geblieben, ruhmlos oder nicht. Andere Leute sind bei Bocernae nicht einfach nur vom Pferd gefallen.«
»Ja.« Ardeija beugte sich vor und wischte die kleinen Weinflecken von den Steinen. »Aber manche Leute waren dafür auch nach Bocernae noch am Leben. Wärst du lieber tot als lebendig?«
Wulfila betrachtete ihn über den tönernen Becher hinweg, als denke er ernsthaft über die Frage nach. »Nein. Meistens nicht. Du etwa?«
»Nein.« Ardeija lächelte. »So ist es schon besser.« Nun, da es an der Zeit gewesen wäre, seinen Dank auszusprechen, wollten ihm die nötigen eindrucksvollen Worte nicht einfallen, und er zögerte. »Ich habe mich nie bedankt«, sagte er schließlich, »weder in Bocernae noch auf dem Brandhorst. Also … Danke. Du hast noch etwas gut bei mir.«
»Dann bring demnächst mehr von dem Wein hier mit; er ist nicht schlecht.«
»Den kannst du bekommen«, sagte Ardeija und beschloss, Wulfila vorerst nicht weiter in Verlegenheit zu bringen. »Aber eines musst du mir glauben. Es war keine Absicht, dass ich dich nicht erkannt habe, dort unten.«
»Ich hätte es dir aber nicht sehr übelgenommen, wenn es so gewesen wäre.« Vielleicht war Wulfila sogar ehrlich. »Wenn ich der Hauptmann einer Richterin wäre und dann plötzlich ohne mein Zutun mit einem Dieb befreundet und auch noch mit einem neuen Vater versehen, dann würde ich mir wahrscheinlich durchaus wünschen, eine ganze Reihe von Leuten nicht zu kennen.«
»So übel bist du nicht.« Ardeija beobachtete Gjukis zuckende Schwanzspitze. »Und Theodulf auch nicht. Er hat viel für mich gewagt, mehr, als manch ein anderer es vielleicht getan hätte. Aber dennoch …« Er hielt inne, abermals unsicher, wie er das, was ihm durch den Kopf ging, in Worte fassen sollte.
»Du magst ihn nicht besonders?«, vermutete Wulfila.
Der Drachenschwanz war, quer über Gjukis Schnauze gelegt, vorerst zur Ruhe gekommen. Ardeija sah zu Boden. »Ich wünschte, ich wüsste genug, um das zu entscheiden. Aber ich komme nicht nahe an ihn heran, weder geradeheraus noch auf Umwegen. Da!« Er deutete auf eine blank geriebene Bronzefibel in Form eines Adlers, die ihren Weg an den Vorhang gefunden hatte, bevor Wulfin ins Bett gegangen war, da sie, wie er Ardeija ernsthaft versichert hatte, böse Träume fernhielt. »Selbst du hast noch Dinge, die ich von früher kenne, Kleinigkeiten, die wichtig sind, obwohl du nun wahrhaftig ein paar wilde Jahre hinter dir hast. Theodulf hat mindestens zwei, drei Jahrzehnte sicher auf dem Brandhorst gesessen. Dennoch war kaum etwas unter seinen Sachen, das nicht austauschbar wäre, und das, obwohl das Meiste erkennbar gebraucht war, nicht so, als hätte er alles verloren und noch nicht viel Neues angeschafft. Es hat mir auch nicht viel geholfen, dass ich inzwischen einen seiner Freunde kennengelernt habe, wenn ›Freund‹ nicht schon zu viel sagt.«
»Jemanden vom Brandhorst?« Die Frage klang fast gleichgültig, doch Ardeija erahnte ein stummes »Jemanden, den ich kenne?« dahinter und war froh, den Kopf schütteln zu können.
»Nein, es war niemand von dort.« Kurz besann er sich auf Rambert und erwog, auch ihn zu erwähnen, entschied sich dann aber doch dagegen. Er wollte nicht erzählen, wie seltsam es sich angefühlt hatte, Theodulf kurz seine abweisende Kälte ablegen zu sehen, um sich fast väterlich liebevoll zu zeigen, doch nicht seinem wiedergefundenen Sohn, sondern einem fremden Jungen gegenüber. »Er kennt einen Häuptling, dessen Hof gleich jenseits der Grenze liegt, einen Mann namens Halli. Anscheinend heißt ›Häuptling‹ in der Gegend, dass er mehr Kühe hat als all seine Nachbarn … Nein, lach nicht, das ist eine sehr ernste Sache, zumindest für Halli.«
»Für die Kühe wahrscheinlich auch.«
»Mit denen habe ich nicht gesprochen. – Wie auch immer, Halli hat uns Pferde gegeben und zwei Krieger, um uns sicher nach Aquae zu geleiten.«
Wulfila nickte, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass es sich für einen guten Freund auch gehöre, so hilfsbereit zu sein. »Was hat er dazu gesagt, dass Theodulf einen Sohn dabei hatte, von dem er bisher noch nichts gewusst haben kann?«
»Nicht viel, solange ich zuhören konnte. Als er später glaubte, sie wären unbelauscht, hat er gefragt, ob meine Mutter ›das Barsakhanenmädchen‹ sei.« Ardeija fuhr sich über die Stirn und betrachtete den Wein in seinem Becher. »Theodulf muss dort also früher einmal von meiner Mutter gesprochen haben. Aber auf die Frage
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