Tricontium (German Edition)
sorgen musste, doch bevor er dazu kam, sich noch mehr Gedanken zu machen, hatte sie schon weitergesprochen: »Ich verstehe aber genug von der Wirkung dieses Weins, um zu hoffen, dass der Drache, von dem Ihr so viel versteht, gut auf Euch aufpasst, wenn Ihr Euch auf den Nachhauseweg macht. Ich brauche Euch noch. Und denkt auch daran, mir morgen früh Euren Vater herzubringen.«
Ardeija nickte unwillig; es ärgerte ihn, dass Herrad sich bemüßigt fühlte, ihn daran zu erinnern. Sie hatte ihm schon, als er früher am Abend mit Wein aus dem Wirtshaus »Zum Bischof Garimund« und einem Beutel mit den nötigen Gewürzen in ihrer Küche erschienen war, über einen Apfelpfannkuchen hinweg mitgeteilt, dass sie Theodulf sprechen müsse und Ardeija ihn am Folgetag zu ihr bringen solle. Diese Aufforderung, die geklungen hatte, als ginge es weniger um ein höfliches Gespräch als um die Vorladung eines Verdächtigen, hatte er schwerlich vergessen können.
Dankenswerterweise schien Wulfila mehr Zutrauen zu ihm zu haben als die Richterin. »Daran denkt er schon. Und, Frau Herrad? Was die Frage betrifft, die Ihr mir durch Wulfin habt ausrichten lassen … Nein.«
»Nein?«
»Nein.«
»Gut.« Herrad nickte, und die beiden tauschten ein Lächeln. Ardeija hatte den vagen Eindruck, dass eben mehr besprochen worden war, als er gehört hatte, doch er schwieg dazu, bis die Tür sich wieder hinter Herrad geschlossen hatte und ein leises Geräusch anzeigte, dass sie den Riegel vorlegte.
»Was war das denn eben für eine Unterhaltung?«, erkundigte er sich dann leise.
Wulfila betrachtete wieder seinen Sohn, der über alles hinweggeschlafen hatte. »Nichts weiter. Es ging nur um etwas, das sich zugetragen hat, als wir uns zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind. Das ist über fünf Jahre her … Alte Geschichten.«
»Ich wusste nicht, dass du Frau Herrad …«, begann Ardeija und unterbrach sich selbst, indem er auf die geschwärzte Narbe, die unter Wulfilas Ärmel nur halb sichtbar war, deutete. »Gerechter Gott. Sie war das, nicht wahr?«
Wulfila zog den Ärmel mit Nachdruck bis auf seinen Handrücken hinunter. »Nicht persönlich.«
»Das hatte ich auch nicht angenommen.« Die Vorstellung, Frau Herrad selbst ein Brandeisen zur Hand nehmen zu sehen, war in mehrerlei Hinsicht so erschreckend, dass Ardeija sich nicht länger damit befassen wollte. »Wulfila, es tut mir leid. Ich hätte dich nicht nach Tricontium geschickt, wenn ich das gewusst hätte.«
»Warum nicht?« Wulfila lächelte mild. »Ich verstehe mich eigentlich ganz gut mit ihr.«
Ardeija war eben selbst dabei, den Widerspruch zu entdecken. »Das sehe ich, ja … Die Frau verurteilt dich dazu und du magst sie trotzdem noch leiden?«
Wulfila sah ihn an, als sei ihm erst jetzt aufgegangen, dass darin ein Hindernis für seine Zuneigung bestehen könnte. »Aber sie war doch im Recht«, sagte er und klang fast wie Wulfin seinerzeit auf dem Brandhorst, zugleich unerschütterlich überzeugt und hilflos angesichts eines dummen Menschen, der ganz einfache Dinge nicht einsehen wollte oder konnte. »Wenn sie mich unschuldig verurteilt hätte, wäre das etwas anderes.«
Aus dem vorderen Zimmer klang Gelächter zu ihnen herüber. Ardeija schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe gleich geahnt, dass du eigentlich nicht sehr geeignet bist, Kürbisse oder sonst irgendetwas zu stehlen.«
»Ja?« Wulfilas Auge blitzte, als sei dieser Zweifel an seinen Fähigkeiten eine versteckte Herausforderung. »So schlecht bin ich gar nicht, wenn ich nicht gerade ertappt werde, und das kommt weiß Gott nicht immer vor.«
Er hatte in der Gegenwart gesprochen, ganz so, als sei dieser Teil seines Lebens nicht beendet. Ardeija wusste nicht, ob es bloße Gedankenlosigkeit gewesen war. »In Aquae hättest du aber wirklich damit warten können, dich ertappen zu lassen. Hätte ich schon in Frau Herrads Diensten gestanden, als man dich vor sie brachte, wäre die Sache ganz anders verlaufen.«
»So sehr sie dich auch schätzt, sie hätte wohl kaum nur auf deine Bitten hin das Recht gebeugt.« Wulfila war aufgestanden und angelte über Ardeija hinweg nach einem der Äpfel in der Schale auf dem langgestreckten Arbeitstisch; Ardeija fragte sich flüchtig, wie er nach all den Pfannkuchen jetzt schon wieder hungrig sein konnte. »Wenn du mich also nicht von vornherein daran gehindert hättest, ein Huhn und ein Hemd, die mir nicht gehörten, an mich zu bringen, hätte sich nichts geändert, und ob dir
Weitere Kostenlose Bücher