Tricontium (German Edition)
das gelungen wäre?«
Ardeija zuckte die Schultern. »An Rechtsbeugung hatte ich nicht gedacht. Aber ich hätte wahrscheinlich jede Geldbuße bezahlt, um dir das hier zu ersparen.«
Wulfila sah gerührt drein. »Das wäre aber teuer geworden. Es war ein ziemlich gutes Seidenhemd. – Möchtest du übrigens einen Apfel haben? Ich bin eigentlich sehr satt.«
Ardeija hatte schon dazu angesetzt, ihn zu fragen, weshalb er sich den Apfel überhaupt genommen habe, wenn er ihn gar nicht wolle, als er gewahr wurde, dass von den geschmeidigen Fingern der Hand, die ihm die Frucht entgegenstreckte, wie zufällig die Kette baumelte, die sich eben noch um seinen Hals befunden hatte. »Ich auch«, sagte er und beeilte sich, Wulfila das Diebesgut wieder abzunehmen. »Wie hast du das gemacht?«
»Das werde ich dem Hauptmann einer Richterin nicht erzählen«, sagte Wulfila mit einem reichlich selbstzufriedenen Lächeln. »Doch so viel zu ›nicht sehr geeignet‹, nicht wahr?«
Es kostete Ardeija keine Anstrengung, gebührend beeindruckt dreinzusehen. »Irgendwann musst du mir beibringen, wie man das bewerkstelligen kann … Nur mir, als Freund. Ich verspreche auch, dass der Hauptmann nicht zuhört. Man weiß ja nie, wozu man es brauchen kann, und wir haben noch ein paar lange Winterabende vor uns. Wer hat dir eigentlich gezeigt, wie man so etwas anstellt?«
Er hatte vermutet, dass man solche Fertigkeiten in den drei Zellen des Niedergerichts oder in jedem anderen Gefängnis des Reichs erwerben konnte, während man auf den nächsten Gerichtstag wartete, doch Wulfila gab eine andere Antwort. »Mein Vater.«
»Dein Vater?« Ardeija hatte Wulf zwar einiges zugetraut, aber nicht ausgerechnet dies. »Hat er das in Mons Arbuini gelernt?«
»Nein, das konnte er schon immer.« Der geglückte Beweis seines fragwürdigen Könnens schien Wulfilas ohnehin nicht schlechte Laune noch einmal gehoben zu haben. »Über Mons Arbuini redet er nicht viel.«
»Aber man kann mit ihm darüber reden?«
Die Heiterkeit schwand. »Warum willst du das wissen?«
Ardeija war nahe daran, von Gudhelms Geist zu erzählen, doch er wusste gut genug, dass er nichts über die Bitte seines früheren Herrn verraten durfte. »Ich muss ihn etwas fragen«, sagte er deshalb ausweichend. »Ein … Freund hat mich gebeten, etwas in Erfahrung zu bringen, nicht über deinen Vater, aber über die Steinbrüche und einen Gefangenen dort. Mehr darf ich nicht sagen, ich habe Schweigen gelobt.«
Wulfilas Fußspitze zeichnete eine der Fugen zwischen den abgetretenen Fliesen des Küchenbodens nach. »Du kannst ihn darauf ansprechen, wenn es sein muss, und er wird dir schon ehrlich antworten. Dass er es gern tun wird, glaube ich allerdings kaum. Vielleicht weiß ich ja, was du wissen musst?«
Doch Ardeija stellte nicht die Fragen, die er Wulf hatte stellen wollen. »Es war sehr schlimm, ja?«, erkundigte er sich stattdessen.
Wulfilas Gesicht ließ ihn ahnen, dass es reichlich überflüssig gewesen war, um Bestätigung dieser Vermutung nachzusuchen. »Ja.« Erst schien es, als wolle er nicht weiterreden, doch dann sprach er, leise, aber nicht so zögerlich, wie Ardeija es erwartet hatte, sondern fast mit einer gewissen Dankbarkeit dafür, dass ihm jemand zuhörte. Die Auswahl an Freunden, denen er sein Herz ausschütten konnte, war in den vergangenen Jahren wohl nicht groß gewesen. »Als ich ihn dort herausgeholt habe, ging es ihm verdammt schlecht. Eine ganze Weile hat er gar nicht geredet. Er hat mich nur festgehalten und geweint – und eigentlich weint er nicht. Davor habe ich ihn nur weinen sehen, als meine Mutter gestorben ist. Nein, warte … Das ist nicht wahr, auch auf meiner Hochzeit. Aber da war es Rührung, hoffe ich. Doch nach Mons Arbuini hat er geweint und fast bis zum Abend nicht mit mir geredet. Als er dann endlich etwas gesagt hat, war es nur ›Du hättest etwas Besseres mit deinem Geld anfangen sollen.‹ Ich weiß auch nicht, ob er sich überhaupt wieder so recht erholt hätte, wenn Wulfin nicht gewesen wäre, aber als ich ihm gesagt habe, dass er sich nun gefälligst um seinen mutterlosen Enkel kümmern müsse, weil ich kein sehr guter Vater sei, scheint das geholfen zu haben. Es hat dennoch Wochen gedauert, bis er etwas von den Monaten dort erzählt hat, und viel war es bis heute nicht. Da sind Dinge, die er selbst nicht gern anrühren möchte.«
Ardeija bereute fast, nach Mons Arbuini gefragt zu haben, doch da sie nun schon so weit gelangt waren,
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