Tricontium (German Edition)
konnte er es auch zu Ende bringen. »Hat er je einen Mann erwähnt, einen anderen Gefangenen dort, der sich Aquila nannte?«
»Nein, das habe ich nicht«, sagte Wulf von der Tür her und fügte, als sei er sich sehr gut bewusst, dass damit noch nichts geklärt war, hinzu: »Und es gab meines Wissens auch niemanden dort, der so hieß.«
Ardeija fuhr herum. Er hatte nicht gehört, wie die Tür zum vorderen Zimmer geöffnet und wieder geschlossen worden war, und hätte nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermocht, wie lange Wulfilas Vater ihrem Gespräch schon lauschte. Sein lästiges Talent, mit unfehlbarer Sicherheit gerade dort zu sein, wo man ihn weder erwartete noch gebrauchen konnte, hatte Ardeija über die Jahre fast vergessen, und es war nicht sonderlich beruhigend, dass Wulfila ebenfalls etwas erstaunt aussah.
Immerhin wirkte Wulf nicht verstört oder verärgert darüber, dass sie sich über einen der dunkleren Winkel seines Lebens unterhalten hatten, doch das musste noch nicht viel heißen.
Ardeija beschloss, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen; er wollte sich die Möglichkeit, sich zum Essen einladen zu lassen, nicht für die nächsten Wochen verscherzen. »Es war unhöflich von mir, nicht geradeheraus danach zu fragen«, bekannte er und hoffte, zerknirscht genug zu klingen, »aber ich dachte, dass es ratsamer sei, abzuwarten, was Wulfila sagen würde.«
»Wulfila hält mich für doppelt so alt und empfindlich, wie ich eigentlich bin.« Wulf warf einen Blick in den Glühweintopf. »Ihr habt nichts übrig gelassen? Sieh an. So weit geht eure Rücksichtnahme einem armen, alten Mann gegenüber also tatsächlich.«
Mit einem Seufzen rückte Wulfila ein Stück auf seiner Bank weiter, um seinem Vater Platz zu machen, und reichte ihm seinen eigenen Becher. »Nimm das und sei still.«
»Ich habe dich schlecht erzogen«, sagte Wulf und lehnte sich doch hochzufrieden zurück. »Oh, und ehe Ardeija noch fragt … Es gab auch niemanden in Mons Arbuini, der ›Aquila‹ als falschen Namen gebraucht hätte. Wenn jemand dort war, der wirklich Aquila hieß, sich aber für einen anderen ausgegeben hat, so weiß ich nichts darüber, aber es kann natürlich sein. Wer ist der Mann denn? Oder darf darüber auch nichts verlauten?«
»Bemüh’ dich nicht.« Wulfila sah mit einem halben Lächeln zu, wie sein restlicher Wein verschwand. »Ardeija hört ohnehin nicht zu.«
»Doch, doch«, behauptete Ardeija und wusste, dass er log. Zwar hatte er die Sätze, die gesprochen worden waren, gehört, doch hatte ihr Inhalt ihn kaum erreicht. Der alltägliche kleine Austausch zwischen Vater und Sohn, die Blicke und Gesten, die unter allem Spott gutes Einvernehmen verrieten, die schiere Selbstverständlichkeit, mit der sie miteinander umgingen, hatten ihn weit mehr berührt als alles Gesagte und ihn gegen seinen Willen unendlich traurig gestimmt. Vielleicht würde er in Monaten und Jahren lernen, mit Theodulf ganz gut auszukommen, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass jemals etwas wie ungezwungene Vertrautheit zwischen ihnen bestehen würde. Wenn seine anderen Befürchtungen sich bewahrheiteten, dann würden auch seine eigenen Kinder einmal nicht anders über ihn denken.
»Danke«, fügte er hinzu und schämte sich im Stillen für den Beiklang leerer Höflichkeit. »Das nützt mir schon sehr viel. Doch ich sollte langsam aufbrechen. Es ist spät.«
Damit ging er zum Bett hinüber und hob Gjuki auf, der wie immer, wenn er schlief, bleischwer, aber tröstlich warm in seiner Hand lag. »Da im Becher ist noch Wein.«
»So war das aber nicht gemeint«, sagte Wulf, der sich die Schuld an dieser raschen Flucht zu geben schien. »Ich wollte euch nicht stören. Aber wenn du wirklich gehen willst, nimm die Hintertür. Krähe – Oshelm , wenn ich mich denn je daran gewöhne – deutete an, sich unter seinem eigenen Dach noch nicht so recht wieder eingerichtet zu haben, und Freda bot ihr Bett und ihre Gesellschaft an.«
»Er sollte eigentlich wissen, dass meine Sachen auch noch dort vorn liegen«, gab Ardeija mit leisem Ärger zurück, ging aber dennoch mit einem gemurmelten Abschiedsgruß zur Hoftür hinüber.
Der kalte Wind, der ihn fast zurück gegen die Hauswand presste, kaum dass er im Freien war, hätte ihn beinahe zur Umkehr bewogen, doch er hatte keinen so guten Grund wie der Schreiber, Frau Herrads Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Er konnte nur hoffen, dass der Sturm auch die Gespenster und alle lebendigen Unholde
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