Tricontium (German Edition)
aus einem Baum gefallen. Auf mich. Und dann wollte er mein Hemd nicht wieder loslassen.« Der Gedanke an das winzige, wenngleich schon mit erstaunlich kräftigen Krallen bewehrte Wesen, das Gjuki damals gewesen war, brachte ihn zum Lächeln. »Ich konnte kein Nest finden, in das er hätte gehören können. Da habe ich ihn mitgenommen.«
Mehr musste diese neugierige Frau nicht wissen. Es ging sie nichts an, wie sehr Gjuki erst gejammert hatte, um dann endlich zu begreifen, dass ihm die große Hand, die ihn nach einigen Versuchen doch noch losbekommen hatte, nichts Böses wollte. Als er beruhigt und vertrauensvoll ein zartes Schwänzchen um Ardeijas Daumen geschlungen hatte, war ihre Freundschaft beschlossene Sache gewesen.
»Und er hat nicht gebissen und sich gewehrt?« Die Schreiberin verstand offensichtlich noch viel weniger von Drachen als Frau Herrad.
Ardeija lachte dem grünen Schatten zu, der eben über seinem Kopf vorbeikam. »Nein. Er weiß, wer es gut mit ihm meint und wer nicht.«
»Tatsächlich? Dann hat er den Menschen etwas voraus. Ein solches Wissen muss einem das Leben sehr erleichtern.« Ein Schriftstück glitt ihr aus der Hand; sie sammelte es rasch wieder auf.
»Wahrscheinlich.« Ardeija schob die Hände unter den Mantel, um sie zu wärmen, und fragte sich im Stillen, ob einen das Wissen darum, wie die Menschen es mit einem meinten, nicht auch reichlich hoffnungslos machen konnte, wenn man kein kleiner Drache war, der naturgemäß äußerst wenige Feinde hatte.
Die Schreiberin schien von solchen Überlegungen nicht belastet zu sein, sondern plauderte weiter, als hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, auch einmal für eine gewisse Zeit zu schweigen. »Überhaupt wäre es gut, vieles besser zu wissen … Etwa, was hinter der erbärmlichen Buchführung über die Gefangenen hier steckt. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es den Leuten hier ganz gleichgültig ist, ob sie den Überblick behalten oder nicht, solange nur genug Männer für die Steine da sind.«
»Wie viele ungeklärte Fälle habt Ihr denn?«
»Mindestens drei … Nein, sogar vier.«
»Das ist viel.« Ardeija versuchte, einen unauffälligen Blick auf die Liste zu erhaschen, die Bertrada neben sich auf der Bank abgelegt hatte, doch ihre ungewohnte Schrift war nicht so leicht zu entziffern, schon gar nicht, wenn die Buchstaben aus seiner Sicht auf dem Kopf standen. Mit Mühe erkannte er gerade eben, dass ein gewisser Balbus die Reihe von Namen anführte, doch weiter kam er nicht.
Die Krieger waren eingetroffen, und mit ihnen der Mann, den er sprechen wollte.
Ardeija wollte nicht an Oshelms Furcht denken, nicht Otachar, sondern jemanden, der einmal Otachar gewesen war, vorzufinden, und konnte den Gedanken doch nicht ganz verdrängen.
Sie hatten einander zuletzt vor sieben Jahren an der Tricontinischen Pforte gesehen, doch wenn man die Veränderungen, die mit Otachar vorgegangen waren, zum Maßstab nahm, hätte es auch ein ganzes Weltalter sein können. Es war nicht das Schlimmste, dass eine hässliche Narbe, die unter dem linken Auge begann, eine Gesichtshälfte des ehemaligen Markgrafen zerteilte, auch nicht, dass der abgemagerte, verhärmte Gefangene dem eindrucksvollen Krieger, der Gudhelm damals bei den aufrechten Steinen erwartet hatte, nur noch bei näherem Hinsehen ähnelte. Das waren Äußerlichkeiten. Was Ardeija entsetzte, war vielmehr die Gleichgültigkeit im Blick des vorgeblichen Aquila, den es kein bisschen zu kümmern schien, dass man ihn so spät noch zu einem Verhör vorführte. Er musste Ardeija erkennen, doch wenn er sich Sorgen machte, seinerseits erkannt und vielleicht verraten zu werden, zeigte er davon nichts. Falls es eine Verstellung war, dann eine überzeugendere als jede Maske abweisender Kälte, doch vielleicht lag sein mangelndes Interesse an seiner Umgebung und seinem eigenen Schicksal auch darin begründet, dass er ganz offensichtlich krank war.
Ardeija sah sich um, doch bis auf die von Bertrada und ihrem Schreibzeug belegte Bank war kein Sitzplatz mehr vorhanden. »Holt ihm einen Stuhl oder Schemel.«
Die beiden Krieger aus Salvinae schienen sich ebenso wenig angesprochen zu fühlen wie der örtliche Wärter.
»Meint Ihr nicht, dass es so schneller gehen wird?«, fragte schließlich einer von Sarus’ Männern.
Ardeija sah ihn kalt an. »Ich habe Euch gebeten, einen Stuhl zu holen. Seht Ihr nicht, dass der Mann kaum laufen kann und wohl Fieber hat? Dies hier ist nur eine Zeugenbefragung;
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