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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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sprichst noch von Vernunft?«
    »Ja.«
    Paulinus hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Was soll ich darauf noch sagen?«
    Herrad lächelte. »Sagen müsst Ihr nichts. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich aber zumindest anhören. Ich stimme Euch zu, dass ich mich angreifbar gemacht habe, doch ist es vielleicht nicht immer Vernunft, die eigene Sicherheit über alles zu stellen. Anders als Honorius habe ich mich dem Recht nicht zugewandt, weil sich damit Vermögen und Ansehen gewinnen lassen, sondern in der Hoffnung, Gerechtigkeit üben zu können. Lacht nicht! Inzwischen weiß ich selbst, dass ich dumm war, anzunehmen, damit sehr weit zu kommen, doch auch wenn ich meine gesamte Amtszeit in Aquae eher damit verbracht habe, durch einen Morast zu waten, als wahrhaftig etwas zu bewirken, ist mir darüber mein Gewissen noch nicht abhandengekommen.«
    Sie hielt inne, doch Paulinus gab ihr nur einen Wink, fortzufahren, wie er es getan hatte, wenn sie in ihrer Jugend eine rhetorische Übung in der Hoffnung auf ein Lob oder auch nur ein bestätigendes Nicken unterbrochen hatte. Er würde nichts erwidern, bevor sie ihm nicht ihren ganzen Gedankengang dargelegt hatte.
    »Es ist nach dem letzten Krieg im Namen der königlichen Gesetze viel Unrecht geschehen, durch Auslegungen, die den Siegern genehm waren. Wohlgemerkt, ich halte die Verlierer nicht für unschuldig, doch glaube ich auch nicht, dass sie mehr angerichtet haben als ihre Richter. Ich habe darüber nachgedacht, mit Wulf und mit Otachar zu verfahren, wie ich es dem Gesetz nach tun sollte, doch kann es nicht meine Pflicht sein, einer Anwendung der Buchstaben, die dem zugrunde liegenden Geist widerspricht, Vorschub zu leisten. Zwar bin ich nicht lebensmüde genug, nach Padiacum zu gehen und diesen Missstand anzuprangern, doch werde ich ihn nicht befördern. Genauso wenig werde ich mich aber mit Männern zusammentun, die zur Durchsetzung eines Ziels, für das ich noch halbwegs Verständnis habe, zu Mitteln greifen, die ich nicht gutheißen kann. Ich weiß durchaus, dass ich mich auf einem schmalen Grat bewege, doch so Gott will, werde ich früher oder später auf sicherem Grund stehen – oder mir aber den Hals brechen, ohne mich schämen zu müssen. Nun sagt mir noch einmal, dass ich unvernünftig bin.«
    Paulinus sagte nichts dergleichen; er schloss schweigend seine Hände um ihre und betrachtete ihr Gesicht mit einem Blick, in dem sich Stolz und Kummer die Waage hielten. »Du bist zu anständig, es weit zu bringen«, sagte er am Ende. »Viel zu anständig. Was habe ich dich nur gelehrt?«
    »Mehr Unvernunft, als Ihr eingestehen wollt?«, schlug Herrad vor.
    Der Magister lächelte nur halb. »Ich werde den Brief an meinen Freund in Padiacum länger machen, als ich es erst vorhatte, und ihn bitten, herauszufinden, ob nicht ein schöner, harmloser Posten im Westen zu haben ist, die Ausübung der weltlichen Gerichtsbarkeit für ein friedliches Kloster oder die Leitung der Kanzlei irgendeines freundlichen alten Fürsten. Versprich mir, anzunehmen, wenn sich dort etwas ergibt. Das wäre ein Rückzug mit Ehren, keine verlorene Schlacht.«
    »Wenn es nicht wieder so weit südlich ist wie Isia«, sagte Herrad, die den Sinn des Vorschlags durchaus einsah, wenn ihr auch der Gedanke, Aquae Calicis verlassen zu müssen, noch weniger behagte als vor ihrem Abenteuer in Tricontium. »Aber vielleicht beruhigt sich die Lage ja noch wieder. Otter sagte mir, es seien fremde Boten auf der Burg gewesen und hätten den Resten von Getas Haushalt versichert, dass bald ein vorläufiger Vogt erscheinen und Ordnung schaffen werde. Aus Padiacum können sie nicht gewesen sein, aber ich habe die Hoffnung, dass man in Salvinae von Getas Tod erfahren und Maßnahmen getroffen hat.«
    »Dann wollen wir hoffen, dass sich die Dinge günstig entwickeln«, erwiderte Paulinus mit nachdenklicher Miene. Die Besorgnis verließ ihn bis zum Ende des Besuchs nicht wieder, und wenn Herrad zunächst noch geneigt gewesen war, die düsteren Vorhersagen ihres Lehrmeisters für übertrieben zu halten, so leistete sie ihm spätestens zu dem Zeitpunkt innerlich Abbitte, als sie durchs Gartentor trat und sah, dass sie auf der Straße erwartet wurde.
    Sie konnte sich wohl geehrt fühlen: Wenn man ihretwegen gleich sechs Krieger schickte, traute man ihr auch allein und unbewaffnet einiges zu. Vielleicht hatte Asgrim Ebbo vor ihr gewarnt, denn es waren Leute des Grafen von Corvisium, die gekommen waren, um sie in Empfang zu

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