Tricontium (German Edition)
behauptete, es wäre seinem eigenen Großvater widerfahren. Aber das alles ist lange her. Es war während des Barsakhanenkriegs.«
»So lange kennt ihr euch?« Ardeija versuchte, sich einen jungen Wulf und einen nicht viel älteren Gero vorzustellen, die in den Tagen, als seine Vorfahren wie ein Wintersturm übers Land gefegt waren, andächtig einer wilden Geschichte lauschten. »Und er hat dich dennoch nicht gehen lassen?«
»Das hat er doch.« Wulf beförderte den Kasten zurück an seinen gewohnten Platz. »Er musste nur ein Jahr darüber nachdenken und eine Entscheidung treffen.«
Zu Beginn dieses langen Jahres war Gero ganz der pflichtergebene Mann, der er immer gewesen war, solange Wulf ihn gekannt hatte, aber immerhin gestattete er es sich, ausgiebig zu fluchen, als sie sich im Torhaus von Mons Arbuini gegenüberstanden.
»Du weißt, dass ich von nun an für dich der Hauptmann von Mons Arbuini bin, und nur der?«, fragte Gero schließlich, als sein Vorrat an Verwünschungen für den Augenblick aufgebraucht war.
Wulf lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn du etwas anderes gesagt hättest. In dem Hauptmann erkenne ich den Freund, den ich schätze.«
»Ich habe deine Verzeihung?«
»Mein Verständnis. Leb wohl, Gero.«
»Leb wohl, Wulf.«
Der Hauptmann winkte die Wachen herbei und Wulf ging in die Dunkelheit von Mons Arbuini, ohne recht zu wissen, wie er zwölf Jahre dort überstehen sollte. Doch Mutlosigkeit konnte einen nicht retten, wenn man nicht gerade daran starb, und Wulf hatte nie dazu geneigt, freiwillig aufzugeben.
In einer Hinsicht waren die Steinbrüche besser als die Türme von Padiacum, in die es bedeutendere Gefangene als ihn verschlagen hatte: Es gab etwas zu tun, die meiste Zeit über mehr, als ihm behagte, und weitaus mehr, als manch einer überstand. Der Sommer war außergewöhnlich trocken, und auch denen, die nicht in der Mittagshitze zusammenbrachen, machte der unerträgliche Staub, der in jede Ritze zu dringen schien, schwer zu schaffen. Es half nicht viel, Mund und Nase mit einem Tuch notdürftig zu schützen, und das Gefühl, ersticken zu müssen, wurde dadurch vielleicht nur noch stärker. Doch selbst das, die Erschöpfung und die mehr als einmal blutig gerissenen Hände waren erträglicher, als in einen Raum gesperrt zu sein, in dem man keine drei Schritte machen konnte, ohne gegen eine Wand zu stoßen, wie er es jede Nacht erlebte. Wenigstens war er dort die ersten Monate über allein, was wahrscheinlich die einzige Gnade war, die Gero ihm heimlich doch gewährte.
Wulf war dankbar dafür, denn neben denen, die wie er im Krieg auf der falschen Seite gestanden hatten und für irgendein vorgebliches Verbrechen verurteilt worden waren, und den übrigen halbwegs ungefährlichen Leuten, denen mangelnde Umsicht bei irgendeinem Diebstahl oder Betrug zum Verhängnis geworden war, gab es viele, die ihren Aufenthalt in Mons Arbuini mehr als verdient hatten und auch dort noch auf ihre Weise durchzukommen versuchten. Sie lernten, dass es auf die Dauer das Klügste war, Wulf in Ruhe zu lassen, doch sie dahin zu bringen kostete einige Wochen und mehr Kraft, als er übrig zu haben glaubte, nachdem er schon unvorsichtig genug gewesen war, mit Geros Wachen einen Kampf darum auszufechten, auf welchen Namen er hörte und auf welchen nicht mehr. Er wurde die Bezeichnung, die Bernward aus Bequemlichkeit gewählt hatte, am Ende los, vielleicht nur, weil »Wulf« weitaus kürzer war als »Corvisianus«, vielleicht auch, weil er in dieser einen Frage standhaft blieb und sonst wenig Ärger machte.
So schleppte er sich mit gerettetem Stolz, aber auch hustend und in dem ängstlichen Wissen, dass jedes Anzeichen von Schwäche hier gefährlich war und er nicht ewig durchhalten würde, durch sein erstes halbes Jahr in den Steinbrüchen und tat nebenbei das, was er am besten konnte; er beobachtete.
Die anderen Menschen – seine Mitgefangenen ebenso wie Geros Krieger, der Priester und der Arzt, der Schreiber und die Bediensteten – boten reichlich Stoff, wenn es auch oft eine traurige Beschäftigung war, sich mit ihnen und ihrem Verhältnis zueinander zu befassen. Daneben fielen ihm aber auch Dinge auf, die anderswo hätten schön sein können. Der Stand der Sonne und das Wetter ließen die rötlichen Felsen immer wieder die Farbe wechseln und hoch oben in der Steilwand nisteten Wanderfalken. Auf den Dächern dagegen sonnten sich bisweilen kleine
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