Tricontium (German Edition)
begreift, geht einem auch auf, dass jeder, den man kennt, sich totlachen wird, wenn er erfährt, dass man sich so ungeschickt angestellt hat, während ringsum die Welt in Trümmern liegt und es viel mehr zu beklagen gibt als solch ein Pech. Sag das alles Ardeija aber nicht! Er glaubt, dass es eine Kampfwunde war … Und das sollen auch alle glauben. Ich habe eine sehr traurige Sammlung von Narben. Keine gehört zu irgendeiner großen Schlacht. Größtenteils waren es Unfälle und Strafen.«
»Im Kampf zu einer Wunde zu gelangen, ist eigentlich auch keine Leistung. Der eigene Beitrag ist in der Regel zu gering«, erklärte Herrad und hielt ihm ihren linken Daumen hin, den eine längliche Narbe zierte. »Wir sollten vergleichen. Hier war ich mit dem Federmesser unvorsichtig und irgendwann erzähle ich dir, was ich hier« – ihre Hand streifte flüchtig eine Stelle unterhalb ihrer linken Brust – »auf Reisen angerichtet habe. Vielleicht sollte ich einen Hinterhalt erfinden, um das zu erklären. Was meinst du? Ein Hinterhalt wäre doch gut.«
»Ein hinterhältiger Hinterhalt, ja«, sagte Wulfila, dem es mittlerweile gleichgültig war, wie viel Unsinn er heute noch reden würde, und beugte sich zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen, so gut es um das Buch herum ging.
»Ein sehr hinterhältiger«, wiederholte Herrad hochzufrieden und lehnte den Kopf gegen seine Schulter.
So hätte alles gern noch eine Weile bleiben dürfen, doch ein Klopfen am Rahmen der offenen Tür zwischen den beiden Kanzleiräumen zeigte an, dass sie nicht unbeobachtet geblieben waren.
Für jemanden, der selbst nicht gerade den Ruf eines Musters an Keuschheit und Sittenstrenge erworben hatte, sah Ardeija viel zu entsetzt über die harmlose Umarmung aus. Erst verspätet fiel Wulfila ein, dass sich auch seine Augenklappe nicht dort befand, wo sie hätte sein sollen, und er beeilte sich, sie wieder zu befestigen. Viel schien es nicht zu helfen. Nur Gjuki zwitscherte vergnügt und kletterte, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen, auf Herrads Schoß und von dort auf die Leges et constitutiones .
»Im ›Grünen Keiler‹ ist Oshelm nicht«, begann Ardeija schließlich, »das wollte ich nur sagen. Aber auf dem Weg habe ich Otter getroffen, und er lässt ausrichten, dass er nachher noch vorbeikommen wird; er hat irgendetwas für Euch.«
»Gut, gut.« Herrad schien die Unterbrechung nicht weiter unangenehm zu sein; sie hob ohne weitere Umstände Gjuki am Schwanz hoch, um ihn auf den Boden zu setzen und ihr Buch wieder aufzuschlagen. »Tut Ihr mir dennoch den Gefallen, eben bei mir zu Hause vorbeizugehen und festzustellen, ob Oshelm sich nicht zu Freda geflüchtet hat – oder zu Wulf? Wenn er sich betrinken muss, dann soll er es nämlich lieber im ›Keiler‹ tun, als sich aus meinen Beständen zu bedienen.«
Ardeija hob Gjuki auf und schob ihn sich unter den Mantel. »Ich kann einen der Krieger schicken. In einer Stunde kommen zwei Leute, die Maurus aufgetan hat, um sich vorzustellen, und dann wäre ich gern hier.«
Herrad schüttelte den Kopf. »Eine Stunde werdet Ihr wohl kaum brauchen. Ihr kennt doch Oshelm. Er wäre tödlich beleidigt, durch einen einfachen Krieger herbeizitiert zu werden wie ein Missetäter.«
Ardeija war nicht erfreut, doch er fügte sich. Zwischen den beiden Räumen blieb er noch einmal stehen und wandte sich um. »Frau Herrad? Ich habe nachher noch etwas zu besprechen mit Euch, unter vier Augen, wenn es geht.«
Er vermied es so sorgfältig, seinen Freund anzusehen, dass Wulfila sich unwillkürlich aufrechter hinstellte und sich dabei ertappte, die Hand auf einen nicht vorhandenen Schwertgriff stützen zu wollen. Zum ersten Mal war er fast dankbar für das, was sich auf den Grabhügeln ergeben hatte. Ein kleiner Dieb mochte in den Augen der Welt und selbst in denen Ardeijas nichts für eine Richterin sein, aber vielleicht war Fürst Asgrims neuer Schwertmeister angemessener?
30. Kapitel: Der mangelnde Trost der Philosophie
»Ich bin nicht hier«, wiederholte Oshelm mit einer Sturheit, die nicht zu Frau Herrads altbekanntem Schreiber gehörte, sondern zu dem Mann, der in dem Gasthaus an der Straße Malegis widersprochen hatte. »Sagt ihr, Ihr hättet umsonst gesucht.«
»Ihr wisst doch selbst, wie wenig Sinn das hätte«, sagte Ardeija, auch nicht zum ersten Mal. »Es ist schwer, die Richterin zu belügen, wenn sie erst einmal einen Verdacht hat, und sie vermutet Euch hier.«
Ardeija hätte gern über Herrads
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