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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Sperlingsgreifen mit weit ausgebreiteten, braun gesprenkelten Flügeln und kleinen, zuckenden Katzenschwänzchen, die in buschige Quasten ausliefen. In der Nacht hörte Wulf die Feuerkobolde vor den Türen umherhuschen und hatte seine bescheidene Freude daran, dem Geräusch zu lauschen und sich vorzustellen, wie sie auf geheimen Wegen ihre Ausflüge durch das beengende Gemäuer unternahmen. Man sagte, dass kein Feuer ausbrach, solange sie ein Haus bewachten, und dieser Aberglaube, der hoffentlich keiner war, ließ ihn ein wenig ruhiger schlafen.
    Er hatte sich mit seiner Lage abgefunden, so gut es irgend ging, als sie ihm dann an einem Herbstabend Otachars Schreiber brachten. Der Mann war schon seit einer Woche in Mons Arbuini, doch bisher über Nacht anderswo eingeschlossen gewesen, wohl in Gesellschaft, die ihm nicht bekommen war.
    Wulf war nicht überrascht, dass es Schwierigkeiten gegeben hatte. Der Schreiber, auf dessen Namen er sich nicht besinnen konnte, obwohl er ihn früher einige Male in Tricontium gesehen hatte, war in den Steinbrüchen schlechter aufgehoben als irgendjemand sonst. Der arme Kerl war ungeschickt mit jedem Werkzeug, das man ihm in die Hand gab, und sein früheres Leben in wohlgeordneten Schreibstuben und Kanzleien hatte ihn nicht darauf vorbereitet, sich hier zurechtzufinden und die Verbündeten zu gewinnen, die er benötigt hätte. Man merkte ihm seine Furcht an, und dass er offensichtlich kein Gespür dafür hatte, wann es besser war, nicht wie ein grammaticus zu reden, trug auch nicht gerade zu seiner Beliebtheit bei. Es war schon am ersten Tag absehbar gewesen, dass er herumgestoßen, benachteiligt und wann immer nötig zum Sündenbock gemacht werden würde; jemandem wie ihm konnte es hier gar nicht anders ergehen. Trotz allem hatte er die dunkelsten Seiten dieses Orts gewiss noch nicht kennengelernt. Er mochte schwach sein, aber er war zu harmlos, jemals ernsthaft mit den Wachen aneinander zu geraten, und nicht jung und hübsch genug, um ohne sein Zutun Begehren zu wecken.
    Dennoch weinte er, als könne er sich nichts Schlimmeres vorstellen als das, was ihm ohnehin schon zugestoßen war, und vielleicht hatte er ja Glück und verfügte tatsächlich nicht über die nötige Einbildungskraft, sich größere Schrecken auszumalen.
    In der ersten Nacht glaubte Wulf noch, der Zusammenbruch würde sich nicht wiederholen, und ließ seinen neuen Bekannten in Frieden.
    In der zweiten Nacht, als sie immer noch kein vernünftiges Wort miteinander gewechselt hatten, ertrug er die Tränen abermals großzügig, auch wenn es unmöglich war zu schlafen, wenn sich jemand gleich neben ihm die Seele aus dem Leib weinte.
    In der dritten Nacht war er mit seiner Geduld am Ende und hatte gerade noch genug Mitleid, den Schreiber nicht auf der Stelle zu erwürgen. »Habt Ihr Boethius gelesen, die Consolatio philosophiae ?«, fragte er stattdessen.
    »Nein.« Das war nicht viel, aber immerhin eine Antwort, und wer reden musste, konnte nicht ewig weiterweinen.
    Wulf beschloss, das Gespräch am Leben zu halten. »Ich auch nicht. Aber es heißt doch, er sei unter solchen Umständen sehr nützlich, nicht wahr?«
    »Das sagt man.« Zu seinem Erstaunen konnte der Schreiber lachen, zwar nicht sehr fröhlich, aber immerhin. »Aber Boethius ist seinen Kopf losgeworden. So nützlich können seine Ratschläge also nicht gewesen sein.«
    »Dann müssen wir es bisher noch klüger angestellt haben als Boethius, nicht wahr?«, fragte Wulf und stieß bei dem Versuch, es sich bequemer zu machen, gegen die rauen Steine der Wand; er hatte sich noch nicht recht an die Enge gewöhnt, die das Vorhandensein seines Zellengenossen mit sich brachte.
    »Vermutlich.« Es klang, als ob der Schreiber nun lächelte, und er schien seine Beherrschung langsam zurückzugewinnen. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass Ihr wisst, wer Boethius ist. Die meisten Krieger wissen es sicher nicht, nicht einmal die, die lesen und schreiben können. Nicht, dass ich nun angenommen hätte, Ihr wärt kein gebildeter Mann, Herr Corvisianus, aber … Nun ja.« Das Lächeln war verschwunden und hatte nur Verlegenheit übrig gelassen.
     »Wulf«, sagte Wulf, »nur Wulf. Ihr werdet mir beipflichten, dass ›Herr‹ in unserer gegenwärtigen Lage etwas unangemessen klingt, und ›Corvisianus‹ ist nur etwas, das Bernward sich ausgedacht hat, weil in meiner Jugend ein zweiter Wulf in seinen Diensten stand.«
    Doch der Schreiber konnte auf seine Weise sehr hartnäckig

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